Waldbaden unterm Rotor?

Waldbaden unterm Rotor?

3. April 2022 1 Von Wolf Hockenjos

Klimawandel und Borkenkäfer gefährden zunehmend Ihre Forstbestände. Windenergie im Wald bringt Ihnen Wertschöpfung und verschafft Ihnen ein zweites Standbein!

BBWind Projektberatungsgesellschaft mbH, AFZ-DerWald 7/2021

Windräder im Wald ist Irrsinn im Quadrat!

Peter Wohlleben; Förster und Bestsellerautor, im Interview vom 6. August 2021 der Stuttgarter Zeitung über seinen Nationalen Waldgipfel

Am 21. März, zum Frühlingsanfang, wird alle Jahre der Internationale Tag des Waldes begangen, erstmals ausgerufen vor einem halben Jahrhundert von der Welternährungsorganisation FAO. Für die Medien ist er ein willkommener Anlass, wieder einmal an die Segenswirkungen des Waldes zu erinnern, nicht zuletzt an die wachsende Bedeutung der Erholungsfunktion. Wo diese in Krisenzeiten doch enorm hinzugewonnen hat, ob auf der Suche nach Abkühlung in Hitzesommern oder nach Bewegungsfreiheit im Lockdown der Pandemie. Doch zum Frühlingsbeginn 2022 war alles anders: Die Schreckensberichte über Putins Krieg in der Ukraine stellten alle anderen Themen – zumal die zivil-erbaulichen – in den Schatten, denn wem mag da noch nach einem Tag des Waldes zumute sein. Betagtere Waldfreunde dürften sich diesmal allenfalls an einen sehr speziellen, weltweit beachteten Waldspaziergang erinnert haben: 1982, noch mitten im Kalten Krieg, kamen sich die Unterhändler der beiden Atomsupermächte, Paul Nitze und Juri Kwizinsky, endlich näher in ihren Abrüstungsgesprächen, und dies in einem Waldstück unweit Genf; besiegelt wurde der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme dann freilich erst fünf Jahre später unter Michail Gorbatschow. Und jetzt also wieder die Drohung mit Atomwaffen – weswegen sich Bundeskanzler Scholz genötigt sah, vor dem Parlament am 27. Februar 2022 eine Zeitenwende einzuläuten!

Im Vorjahr noch hatte der Tag des Waldes in der Presse einen breiten Raum eingenommen. Passend zu den gravierenden, dem Klimawandel anzulastenden Waldschäden („Waldsterben 2.0“), stand der Tag unter dem Motto „Wiederaufbau von Wäldern – ein Weg zu Erholung und Wohlbefinden“. Sogar aktuelle Umfrageergebnisse gab es zu vermelden: Zufolge einer Sinus-Studie, in welcher u. a. nach der „Lieblingsbeschäftigung regelmäßiger Waldgänger*innen“ gefragt worden war, wurden zwei Motive mit Abstand am häufigsten angekreuzt: 81 % Spazieren/Wandern gehen und 49 % Die Natur genießen, „Waldbaden“.

„Lieblingsbeschäftigung regelmäßiger Waldgänger*innen“

„Waldbaden“ – was, bitteschön, hat man sich bloß konkret darunter vorzustellen? Etwa den Swimmingpool unter Baumkronen? Oder sollte man, als Waldgänger der älteren Generation, einen neuartigen Freizeittrend schlichtweg verpasst haben? Die Google-Recherche zum Suchbegriff erbringt sogleich reiche Ernte: Heilung und Entspannung in der Natur wird all jenen versprochen, die wahlweise 8 Wochen Intensivausbildung mit Abschlusszertifikat und 20 Übungen und Meditationen auf sich zu nehmen bereit sindoder die  eine Ausbildung Kursleiter*in für Waldbaden – Achtsamkeit im Wald durchlaufen, erst recht wer den Kurs Waldbaden – in seinem Ursprungland Japan – Shin Yoku bucht. Aufklärung verspricht auch Das Buch zum Waldbaden nebstdutzenden Videos samt  Der Waldbaden-Blog. Fortgeschrittene Kursteilnehmer*innen können sich zum Waldbademeister mit professionellem Entschleunigen fortbilden lassen, die spezielle Disziplin Barfuß-Waldbaden inklusive. Eine Ausbildung in Waldtherapie und Forest Medicine verspricht indessen eine Europäische Akademie EAG. Andernorts wird Waldcoaching Waldbaden, Wald-Yoga, Waldfühlen angeboten. Deutschlands erste Lehrer fürs Waldbaden haben bereits IHK-Prüfungen für bewusstes Naturerleben im Hainich abgelegt, erfährt man. Und weil uns Deutsche ja seit eh und je nicht nur die Liebe zur Waldnatur verbindet, sondern auch eine besondere Präferenz fürs Vereinsleben, so kann uns nicht mehr überraschen, dass Waldbadende sich im Bundesverband Waldbaden BVWA e. V. zusammengeschlossen haben. Wen wundert´s da noch, dass auch im biederen Ländle zum Waldbaden ermuntert wird, so in Shinrin-Yoku-Kursen in Baden-Baden. Es spricht für die Beliebtheit der neuen Geschäftsidee, dass auch Deutschlands führende Forstfachzeitschrift (AFZ-DerWald 16/2018) sich schon frühzeitig des Themas angenommen hat: Kur-/Heilwälder: Eine Chance für Waldeigentümer. 

Der Förster als Waldbademeister – geht´s noch zukunftsorientierter?

Waldbaden (Foto Internet)

Mit Waldheil grüßten sich bekanntlich schon die Mitglieder von Wandervereinen: zu Zeiten freilich, als die Nutzungskategorien  Heilwald und Waldbaden noch längst nicht erfunden waren, so begehrt das Zertifikat Heilklimatischer Kurort auch damals schon gewesen sein mag. Seinerzeit wurden die Segenswirkungen des Waldes noch schlicht „Wohlfahrtswirkungen“ genannt. Die hatte die multifunktionale Waldwirtschaft „im Kielwasser der Holzproduktion“ mitzuliefern. Und spätestens bei Anlässen wie dem Tag des Waldes bot sich auch der Forstbehörde jeweils Gelegenheit, Erholungs- und Sozialfunktion der von ihr bewirtschafteten und betreuten Wälder besonders hervorzuheben. Das klang dann meistens ganz so wie in der Pressemittelung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg MLR vom 20.03.2012: Täglich besuchen rund zwei Millionen Menschen in Baden-Württemberg den Wald. Pro Jahr ergibt sich damit die fast unglaubliche Zahl von 750 Millionen Waldbesuchern allein in Baden-Württemberg – dies entspricht der Bevölkerungszahl von ganz Europa, nicht ohne dass abschließend nochmals besonders betont wurde: Die Erholungs- und Sozialfunktion des Waldes hat große Bedeutung für die Lebensqualität in Baden-Württemberg. Dies ist ein wichtiger weicher Standortsfaktor.

Erholungs- und Sozialfunktion hin oder her: Wie es ausschaut, hat sie inzwischen in der Prioritätenliste zumindest des Staatsforsts an Stellenwert  deutlich eingebüßt – spätestens seit ForstBW (ab 1. Januar 2020) in eine Anstalt öffentlichen Rechts AöR umgewandelt worden ist. Denn damit wurde auch der Zugriff der Politik auf den Staatswald erleichtert – nicht zuletzt auf dem so heiklen Feld der Energiepolitik. Seither ist er vor allem dazu ausersehen, seinen Beitrag zum Gelingen der Energiewende zu leisten. Wozu die Verpachtung von Windenergie-tauglichen Waldflächen intensiv voran zu treiben ist. War doch der Ausbau ausgerechnet im Grün-regierten Baden-Württemberg seit etlichen Jahren ins Stolpen geraten: Bis zum Jahr 2020 hätten es nach dem Willen der Regierung 1200 WEA sein sollen, doch da waren es landesweit gerade mal 730 geworden, und auch der Zubau im Jahr 2020 blieb mit 14 WEA, 2021 mit 25 WEA dramatisch weit hinter den Zielvorstellungen zurück. 

Schon im Vorfeld der jüngsten Landtagswahlen hatten die Medien aus der Delegiertenkonferenz von Bündnis 90 / Die Grünen die Meldung verbreitet, wonach im Staatswald des Landes  2.000 (!) WEA errichtet werden sollen. Im gedruckten Wahlprogramm wurde dann zwar wieder etwas zurückgerudert: „Wir werden die Windkraft auf allen geeigneten Flächen im Staatswald ausbauen, ebenso in der Fläche, so könnten über 1000 neue Anlagen entstehen.“ Der Staatswald stand nun ultimativ zur Disposition, mochte auch eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung bereits 2016 das für Windkraftbetreiber ernüchternde Ergebnis erbracht haben, dass 80 Prozent der Befragten Windräder im Wald ablehnen. Ob der Prozentsatz inzwischen wohl zusammengeschmolzen ist unterm Eindruck explodierender Gas-, Öl- und Spritpreise?

Ob tausend neue Windräder, wie sie der Koalitionsvertrag verspricht, oder auch „nur“ fünfhundert, neuerdings angekündigt durch Forstminister Hauk (CDU) auf der 324.000 ha umfassenden Staatswaldfläche (auf ca. 9 Prozent der Landesfläche): Es bleibt ein Ziel, das Waldfreunde erschaudern lassen muss! Es müsste jede auch nur halbwegs windhöffige Plateaulage und jeder Bergrücken mit WEA bestückt werden. Adieu Arten- und Landschaftsschutz, adieu Tourismus! 

Denn bei derlei Zielgrößen ergibt sich rechnerisch für den Staatswald, so muss befürchtet werden, rund alle 300 ha eine Windenergieanlage (WEA), neuerdings ein bis 270 m hohes Monster, das sogar den Stuttgarter Fernsehturm noch weit überragt. Zieht man von der Staatswaldfläche noch 10 Prozent Tabuzonen mit Vorrangfunktion für den Naturschutz (Kernzonen von Nationalpark und Biosphärengebiet, Bannwälder, Waldrefugien) ab, schließlich auch noch den stadtnächsten Erholungswald, so ergibt sich für staatswaldreiche Landschaften wie den Nordschwarzwald eine gnadenlose Industrialisierung. Dies im bekanntermaßen windärmsten Bundesland der Republik, in einem touristisch intensiv genutzten Mittelgebirge von weltweitem Beliebtheits- und Bekanntheitsgrad. Außerhalb der Grenzen des ca. 10.000 ha umfassenden Nationalparks, soviel ist abzusehen, wird sich der Naturpark Schwarzwald Mitte und Nord in einen Windtechnologiepark verwandeln. Und auch der Südschwarzwald wird nachziehen, denn wo die Landschaft mit Windrädern erst einmal vorbelastet ist, werden sich auch kommunale und private Waldeigentümer nicht mehr von Bauanträgen abhalten lassen – zumal der Großprivatwald, der schon bisher an der Spitze der Bewegung marschiert zum Wohle der Energiewende, aber auch mit dem klaren Ziel, die waldwirtschaftliche Ertragslage durch lukrative Pachterträge (mit jährlichen Einnahmen von 50.000 bis 80.000 € je WEA) aufzubessern. Dass dabei pro WEA etwa ein Hektar Wald gerodet werden muss als Standplatz für die Kräne wie für Ausbau und Verbreiterung der „Zuwegung“, dürfte klimapolitisch eher fragwürdig sein –  trotz aller Auflagen wie Ausgleichsmaßnahmen und Ersatzzahlungen an den Naturschutzfonds. Als CO2-Senken, die bisher im intakten, voll bestockten Zustand je Hektar und Jahr bis zu 10 Tonnen Treibhausgas zu binden in der Lage waren, werden die geforderten Ersatzaufforstungen erst in vielen Jahrzehnten wieder zu Buche schlagen.

Weil sich aber für den „Flatterstrom“ von Wind und Sonne bis in fernere Zukunft keine adäquaten Speichermöglichkeiten anbieten, waren zur Aufrechterhaltung unserer Grundversorgung mit Energie bundesweit bis zu 80 neue Gaskraftwerke geplant, die im Bedarfsfall (etwa bei winterlichen „Dunkelflauten“) als einzige rasch hoch und wieder runter gefahren werden können – leider betrieben mit Erdgas, das bislang zu über 50 Prozent aus Russland bezogen wird. Seit der „Zeitenwende“, seit Putins Überfall auf die Ukraine, erschallt der Ruf nach regenerativen Energiequellen umso lauter, verstärkt zudem von der immer lauter vorgebrachten Forderung der Bündnispartner nach einem kompletten Embargo von russischem Gas und Öl. Ob sich die Landesregierung da nicht doch wieder an die ursprünglich geforderten 2000 WEA für den Staatswald erinnern wird?

So oder so, was die Rettung des Weltklimas anbetrifft, ist die Einsparung an fossiler Energie mit Hilfe der Windkraftnutzung allemal dem ökologischen Rucksack der gigantischen Beton- und Stahlkonstruktionen gegenüberzustellen mitsamt den aus kohlenstofffaserverstärkten Verbundwerkstoffen und aus tropischem Balsaholz hergestellten, brandgefährlichen, giftigen und kaum zu recycelnden Rotorblättern – zuzüglich dem CO2-Ausstoß für Schwertransporte, Wartung und schließlich für die Renaturierung im dereinst ausgedienten Zustand. Dass in die Ökobilanz auch die Verluste an Vögeln, Fledermäusen und Fluginsekten gehören, an Naturlebensraum wie an Natur-Erlebnisraum, versteht sich von selbst. 

Keine Einladung zum Waldbaden

Wusch, wusch, wusch… so hören sich Rotorblätter an, sobald der Wind bläst, derweil bei schräg stehender Sonne ihr Schatten weit über die Wälder hinweg huscht, vom Infraschall ganz zu schweigen. Werden wir Waldbesucher also künftig damit leben müssen, die wir uns doch bisher Naturgenuss pur versprochen haben, auch Heil- und Segenswirkungen des Waldgrüns aufs Gemüt, auf Blutdruck, Herzkreislauf- und Immunsystem? Oder sollte das Gewohnheitstier Mensch eben doch im Stande sein, wie es einst schon Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, behauptet hat, sich an alles irgendwie gewöhnen zu können?  Womöglich wird es uns bald allen so ergehen wie unlängst jenem New Yorker Gästepaar im Goldenen Raben, einem Schwarzwälder Silence-Hotel, das dabei auf den Gebrauch seiner Schlafmaschine nicht verzichten mochte. Deren sonderbares Geräusch hatte nachts den Wirt aufgeschreckt, weil er es partout nicht zu deuten vermochte: dass Großstädter sich ohne die gewohnte Geräuschkulisse schwer tun mit erholsamem Nachtschlaf. Wird uns beim Waldbesuch ohne Rotorrauschen und Drehbewegung hoch über uns bald etwas fehlen? Oder werden uns Flaute mit Stillstand da oben eher in Unruhe versetzen als beglücken, wo wir uns doch allesamt gegen den Klimawandel verschworen und für die Nutzung erneuerbarer Energie eingesetzt haben? Was für ein Dilemma – mit oder ohne Waldbaden!

Im schönen grünen Bergmischwald,
wo heut Touristen wandeln,
da werden Windturbinen bald
den Wald vollends verschandeln.

Dann hält sich,
wer auch kommen mag,
die Augen zu und Ohren
zum Schutze gegen Schattenschlag
und rauschende Rotoren.

                                     

Die Landschaft, die uns teuer war,
ist leider nicht erneuerbar.

nach M. Lieser, 2018