Klimawandel: Macht jetzt auch noch die Tanne schlapp?
Die Waldoffizianten werden aufgefordert, die Waldungen auf Ansteckung der Rot- und Weißtannen von dergleichen schädlichen Borkenkäfern zu beobachten. Kennzeichen besonders wenn an der Rinde der Stämme und Äste kleine Löcher wie von Stricknadeln wahrgenommen werden, an welchen nicht selten Harztropfen oder Wurmmehl zu erkennen sind. (Erlass des württembergischen Herzogs Friedrich II. aus dem Jahr 1801 mit Verhaltensmaßregeln nach Sturmschäden und nachfolgender Hitze gegen die Massenvermehrung von Borkenkäfern, Generallandesarchiv 100/52).
Das Wüten der Borkenkäfer und die durch sie verursachten wirtschaftlichen Schäden hat die für den Wald Verantwortlichen nicht erst seit gestern in Angst und Schrecken versetzt: Es habe „in den Tannenwaldungen verschiedener Gegenden Deutschlands“ große Verheerungen gegeben, schreibt anno1801 Herzog Friedrich II. (nachmals König Friedrich I. von Napoleons Gnaden) in seinem obigen Erlass, „als Folge auffallend anhaltender trocken-warmer Witterung im Vorjahr oder von heftigen Windstürmen im vorhergehenden Spät- und Frühjahr“. Bemerkenswerterweise warnte er vor der Ansteckungsgefahr nicht nur bei Rottannen (Fichten), sondern auch bei Weißtannen. Eine Sorge, die man bei letzterer bis unlängst noch für stark übertrieben halten durfte, womöglich als Ausfluss unzureichender entomologischer und ökologischer Kenntnisse im frühen 19. Jahrhundert.
Doch eben jenes Bedrohungsszenario will uns neuerdings wieder einholen, nachdem die beiden extremen Trockenjahre 2018/19 mit ihren Hitzerekorden die Schadholzmengen auch bei der Weißtanne plötzlich hinaufschnellen ließen, mit Schadensschwerpunkten vor allem am westlichen Schwarzwaldrand, aber auch insgesamt an südexponierten Hängen. Die Schadbilder an der Weißtanne sind so ungewohnt und so spektakulär, dass sich die für den Staatswald zwischen Freiburg und Villingen zuständigen „Waldoffizianten“ (Amtsträger) des 2019 neu gebildeten Forstbezirks Hochschwarzwald dazu entschlossen haben, eine besonders stark geschädigte Tannenfläche von 6 ha nicht vom Schadholz zu räumen, sondern als Mahnmal stehen zu lassen. Worüber die Badische Zeitung (v. 5. 3. 2020) einen ganzseitigen Bericht verfasst hat unter der Überschrift „Tote Tannen als Klimadenkmal“. Ein Foto zeigt kupferrot benadelte absterbende Alttannen in Mischung mit einzelnen Buchen über noch grünem Tannennachwuchs, ein zweites Foto eines rotringigen Baumschwammes weist die rasch einsetzende Holzentwertung hin. Die Fläche befindet sich in ca. 700 m Meereshöhe auf einem flachgründigen Südosthang unweit des Kybfelsens, eines 837 m hohen, einst burggekrönten Aussichtsbergs zwischen den Freiburger Stadtteilen Günterstal und Kappel.
Hätte das „Klimadenkmal“ aus roten Käferfichten bestanden, wäre es der Badischen Zeitung mit Sicherheit keinen Beitrag wert gewesen. Denn dass die Baumart Fichte im Zuge des Klimawandels zusehends in Not gerät, dass die Fichtenborkenkäfer außer Rand und Band zu geraten drohen, hatte schon seit den Jahren des Waldsterbens, spätestens seit dem „Jahrhundertsommer 2003“ jeden journalistischen Neuigkeitswert verloren. An den Anblick selbst großflächig abgestorbener Fichtenbestände hatte man sich nicht nur im Harz, sondern auch im Schwarzwald leidlich gewöhnt, zumal in Bannwäldern und in den Kernzonen von Nationalparks und Biosphärenreservaten. Demgegenüber galt die tiefwurzelnde Weißtanne stets, nachdem sie in den 1980er Jahren sogar den sauren Regen überstanden hatte, als vergleichsweise sturmfest und „klimahart“, kurzum: als „Hoffnungsträger“ und probater Ersatz, sollte der „Brotbaum Fichte“ im Zuge des Klimawandels ausfallen.
Umso bedrohlicher jetzt also die Meldungen über Schäden an den Weißtannen, die selbst altgediente Tannenpraktiker nicht in dieser Massierung erwartet hatten. Während die Bekämpfung der Fichtenborkenkäfer im Arbeitskalender der Förster zur alljährlichen Routine gehört, schienen Massenvermehrungen von Tannenborkenkäfern kein Thema zu sein; präventive Maßnahmen schienen sich da zu erübrigen. Allenfalls Querdenker und Pedanten unter den Forstleuten drangen nach Hiebsmaßnahmen in Tannenbeständen noch darauf, Wipfel und Starkäste der gefällten Tannen zusammenziehen und verbrennen zu lassen, um den Tannenborkenkäfern so das bruttaugliche Material zu entziehen.
Gewiss, während des Forststudiums und speziell vor den Prüfungen im Fach Forstschutz hatte man einst auch die Namen und Fraßbilder der Tannenborkenkäfer gepaukt (Ips curvidens, Ips spinidens und Ips voronzovi), jener Dreierbande von Krummzähnigen, die mit der Lupe an ihrem gezahnten Flügeldeckelabsturz zu identifizieren waren und zum bevorzugten Fragenrepertoire des Freiburger Forstzoologieprofessors Dr. Dr. Gustav Wellenstein gehörten. Hatte der doch in den trockenheißen Nachkriegsjahren noch an vorderster Front mit Arsen, E 605, HCH und DDT gegen die Borkenkäfer gekämpft. In Erinnerung geblieben waren nach den „Franzosenhieben“, nach Winterstürmen und nachfolgender Sommerhitze vor allem die Schäden in den Fichtenwäldern, verursacht von Ips typographus, dem gefürchteten Buchdrucker, während allfällige Tannenschäden mangels Masse und Fläche weithin in Vergessenheit geraten waren.
„Die wenigen Tannenbestände Mitteleuropas“, so pflegte der Professor in seinen Vorlesungen zu warnen, „werden durch die Tannenborkenkäfer periodisch bedroht. Meist treten diese Schädlinge als Folge einer Schwächung der Tanne durch abnorme Trockenheit auf und gefährden besonders die außerhalb des optimalen Verbreitungsgebiets stockenden Bestände.“ Im Gegensatz zum Buchdrucker würden die Krummzähnigen Tannenborkenkäfer freilich selbst bei fortgeschrittener Massenvermehrung keine großflächigen, sondern eher nesterförmige Schäden verursachen; sie könnten durchaus als Primärschädlinge auch gesunde Bäume befallen, vorzugsweise zwar alte Tannen, doch müsse selbst mit dem Angriff auf jüngere Altersklassen „bis hinunter zum 20jährigen Baum“ gerechnet werden. Als Forstbezirke mit namhaften Tannenschäden galten in den Nachkriegsjahren Baden-Baden und Huchenfeld, beide am Schwarzwaldrand gelegen.
Dass derweil in der benachbarten Schweiz in jenen trockenheißen Jahren sehr viel dramatischere Tannenschäden zu beklagen waren, ist hierzulande – umständehalber – kaum wahrgenommen worden: Insgesamt waren 236.000 Festmeter Tannenholz angefallen, vor allem im Mittelland und im Jura. Größere Schadflächen seien jedoch nur auf Standorten entstanden, heißt es in den eidgenössischen Berichten, auf denen die Tanne nicht standortstauglich sei, vornehmlich auf flachgründigen Kalkverwitterungsböden in Sommerhanglage sowie in Reinbeständen ohne die tannentypische Stufigkeit und Mischung. Die gute Botschaft der Schweizer Forstleute: Wo die Weißtanne standortsgemäß sei, habe sie dem Angriff erfolgreich Widerstand leisten können.
In Bayern, wo die Weißtanne nur noch auf einen Flächenanteil von 2 Prozent kommt, hatte das Forstministerium nach dem Jahrhundertsommer 2003 (in LWF aktuell 43/2004) dem Krummzähnigen Tannenborkenkäfer ein Merkblatt gewidmet. Sein Ruf sei nicht viel besser als der des Buchdruckers, heißt es darin. Dennoch sei „ein vergleichbar massives Auftreten der Tannenborkenkäfer wie damals in der Schweiz … zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht zu erwarten. Sowohl Bestandesaufbau als auch Standort der meisten bayerischen Tannenbestände lassen vermuten, dass unsere Tannen einem solchen Schädling auch nach Trockenjahren gewappnet sein werden.“ Umso besorgter klingt indessen eine Überschrift in LWF aktuell 118/2018: „Tannenborkenkäfer befallen Douglasien“. Seit 2009 seien in Mittelfranken vermehrt Schäden an Weißtannen aufgetreten, im September 2017 habe man jedoch auch Ausfälle an Douglasien festgestellt, die von Pityokteines spiridens (so die neuere Bezeichnung des mittleren Tannenborkenkäfers) angebohrt worden seien.
Befällt der Tannenborkenkäfer etwa auch Douglasien?
Der Alarmruf aus Bayern dürfte auch in der Stadt Freiburg nicht ungehört geblieben sein, deren Stadtwald sich durch einen besonders hohen Douglasienanteil (19 % im Bergwald) auszeichnet und der mit der knapp 110jährigen Douglasie „Waldtraut vom Mühlwald“ bei 67 Meter Höhe den höchsten Baum Deutschlands aufbieten kann. Wo doch im Zeichen des Klimawandels dieser Gastbaumart mit ihrer überlegenen Leistungskraft und Klimahärte besonders große Chancen im Wald der Zukunft eingeräumt werden. Ihr Flächenanteil soll sich deutschandweit verzehnfachen, von gegenwärtig 3,5 auf 35 %, wenn es nach den Vorstellungen des Wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik der Bundesregierung gehen sollte. Ob die Tannenborkenkäfer nächstens auch die hochfliegenden Douglasien-Pläne durchkreuzen werden? Am Westhang des Kybfelsens, der zum Stadtwald gehört, dehnt sich ein ca. 50jähriger Douglasien-Reinbestand aus; trotz etlicher Sturmwürfe ist von einem Angriff der Krummzähnigen noch nichts zu bemerken.
Wie es im „Klimadenkmal“ am Kybfelsen derzeit ausschaut, ist also aufgrund des Klimawandels auch auf die Weißtanne kein Verlass mehr – jedenfalls auf Standorten mit ohnehin schon bescheidenem Wasserhaushalt. Auslöser und Vollstrecker der Anpassungsvorgänge im Bergmischwald sind die in der Tannenrinde brütenden Borkenkäfer gepaart mit Holzwespen und Pilzen, insbesondere der Hallimaschpilze, die im Holz das Zersetzungswerk fortsetzen. Noch sind die Bilder von rot benadelten, urplötzlich absterbenden Tannen auch für Förster gewöhnungsbedürftig; abzuwarten bleibt, ob und inwieweit es manchen der befallenen Bäume nicht doch gelingt, sich wieder zu erholen.