
Alemannentagung
Niklas Grüninger über ein besonderes Phänomen im Alemannischen
29. April 2025 von Niklas Grüninger
Hallo liebe Mundelfinger,
im letzten Jahr habe ich für mein Studium in Germanistik eine Masterarbeit über ein besonderes Phänomen im Alemannischen geschrieben und die dabei gewonnenen Ergebnisse auf der Alemannentagung in Bern vorgestellt. Ich freue mich nun sehr darüber, dass ich euch ebenfalls ein wenig über die Ergebnisse der Arbeit berichten kann und hoffe sehr, dass dasThema für euch interessant ist. Ich habe versucht, alle Fachbegriffe verständlich darzustellen und auch einige Beispiele aus unserem Dialekt darzustellen.
Da ich vor einer Woche eine Doktoratsstelle in Dialektologie an einem Graduiertenkolleg begonnen habe, werdet ihr im Laufe des nächsten Jahres sicher noch einmal von mir hören.
Wenn es dann so weit ist und ich nach Versuchspersonen suche, würde ich mich sehr darüber freuen, den Großteil meiner Forschung mit Mundelfingern durchzuführen zu können, um unseren Mundelfinger Dialekt in allen Altersgruppen weiter zu erforschen.
Einleitung
Einleitung
Das Thema meiner Masterarbeit war ‚Wahrnnehmungsimperative im Alemannischen – Methoden zur Beschreibung und Analyse lexikalischer Variation‘. Was erst einmal relativ kompliziert klingt, bedeutet im Grunde, dass ich mich für diejenigen Wörter interessiert habe, mit denen man andere dazu auffordert, etwas anzuschauen. Obwohl bei uns in Mundelfingen dafür vor allem ‚guck‘ verwendet wird, kennen wohl alle von uns auch die Variante ‚lueg‘, die in weiten Teilen des Raums Waldshut-Tiengen üblich ist. Auch das für uns hochdeutsch klingende ‚schau‘ kommt öfters vor allen bei den jüngeren Dialektsprechern vor. Im Prinzip und auch laut der aktuellen Forschung wird angenommen, dass diese drei Aufforderungen ein
und dasselbe bedeuten: jemand soll sich etwas Bestimmtes anschauen.
Die These, die ich für meine Masterarbeit erforscht habe, war jedoch, dass diese drei Varianten in denjenigen Räumen, in denen man alle drei gleichzeitig benutzt, unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen aufweisen. Um dies herauszufinden, habe ich 130-Stunden langes Videomaterial aus Gesprächen zwischen Eltern und Kindern aus dem hochalemannischen Raum analysiert und verschiedene sprachliche Aspekte herausgearbeitet, mit denen es möglich ist, vorauszusagen, welche Variante wann vorkommt. Obwohl die Daten zum Großteil aus dem Raum WT stammen, können die Ergebnisse trotzdem auch auf unser Mulläfingerisch bezogen werden.
Trockene Zahlen
Da das Spektrum der sogenannten ‚Variationslinguistik‘ stark auf Statistik aufbaut, musste ich während meiner Forschung viel mit Zahlen, Prozenten und Wahrscheinlichkeiten arbeiten.
Diese trockenen Zahlen sind an sich wenig interessant und ich werde im folgenden Beitrag versuchen, die Ergebnisse so gut wie möglich ohne zähe Statistiken darzustellen. Was allerdings interessant ist, sind die sogenannten ‚Tokenzahlen‘, also die Gesamtanzahl der Vorkommen von ‚lueg‘, ‚guck‘ und ‚schau‘ im kompletten Videomaterial. ‚Lueg‘ wurde dabei mit 1475 Vorkommen am häufigsten benutzt, aber auch ‚guck‘ (336 Vorkommen) und ‚schau‘ (224 Vorkommen) waren relativ häufig anzutreffen.
Teil 2
Lautliche Einflüsse
Der erste Aspekt, den ich in meiner Arbeit untersucht habe, waren die lautlichen Einflüsse der drei Varianten ‚guck‘, ‚schau‘ und ‚lueg‘. Hier hat sich gezeigt, dass unser Dialekt zwei seh spezielle ‚Vorlieben‘ hat, die dafür sorgen, dass Sprecher des Alemannischen die Varianten so auswählen, dass deren lautliche Umgebung gewissen Regelmäßigkeiten folgt.
Die erste spezielle Eigenschaft unseres Dialekts ist, dass wir es nicht mögen, wenn ein sogenannter Hiatus zwischen Zwei Wörtern besteht: wir vermeiden es so gut wie möglich, ein Wort, das vokalisch endet (z.B. ‚schau‘) mit einem Wort zu kombinieren, das vokalisch anfängt (z.B. ‚einmal‘). Diese Regel erklärt, weshalb für uns das Wort ‚schau‘ hochdeutsch klingt: wir vermeiden es, da die Gefahr besteht, dass ein Hiatus entsteht. Und tatsächlich haben die Sprecher im Videomaterial ‚schau‘ extrem selten verwendet, wenn darauf ein Vokal folgt; stattdessen wurde häufig ‚lueg‘ verwendet, um diesen Hiatus zu vermeiden.

Interessant zu wissen ist auch, dass wir alle ganz unbewusst eine Strategie verwenden, um diese zwei aufeinandertreffenden Vokale zu ‚überbrücken‘. Bei dieser Strategie (hiatustilgendes ‚n‘) fügen wir zwischen zwei Vokalen ein ‚n‘ ein, das den Hiatus zwischen den Wörtern verhindert. Stellt euch mal vor, wie ihr folgendes im Dialekt sagen würdet: „Ich bin gestern gegangen.“ Viele haben jetzt wohl so übersetzt: „Ich bi geschtert gangä.“ Hier fällt auf, dass ‚bin‘ in unserem Dialekt eigentlich kein ‚n‘ hat und wenn jemand statt ‚ich bi‘ ‚ich bin‘ sagt, fällt sofort auf, dass diese Person wohl Hochdeutsch spricht. Stellt euch jetzt aber mal vor, ihr wollt den gleichen Satz als Frage formulieren: „Bin ich gestern gegangen?“
Die allermeisten haben für diese Frage wohl die beschriebene Strategie benutzt und ein ‚n‘ eingefügt, damit zwischen ‚bi‘ und ‚ich‘ kein Hiatus entsteht: „Bi–n–i geschtert gangä?“.
Diese Strategie verwenden wir überraschend oft und vielleicht fällt euch in Zukunft manchmal auf, dass ihr in Gesprächen oft ein zusätzliches ‚n‘ einfügt. Einige fragen sich jetzt sicher auch, weshalb wir ‚ich‘ manchmal mit ‚ch‘ aussprechen und manchmal ohne. Diese Frage kann mit der zweiten lautlichen Eigenschaft unseres Dialektes erklärt werden.
Teil 3
Wie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet wurde, kombinieren Sprecher ‚guck‘ ebenfalls sehr selten mit Vokalen, obwohl ‚guck‘ eigentlich mit einem Konsonanten endet und somit keinen Hiatus verursachen kann. Hier kommt die zweite Eigenart unseres Dialekts ins Spiel: die sogenannte ‚Resilbifizierung‘. Der bekannteste Dialektologe Deutschlands Peter Auer hat einmal zwischen „Akzentsprachen“ und „Silbensprachen“ unterschieden. Hochdeutsch tendiert allgemein zu den Akzentsprachen: Wörter werden klar voneinander abgetrennt und mit einem besonderen Laut, dem glottalen Plosiv, voneinander abgegrenzt; so würde ‚luge einmal‘ durch diesen besonderen Laut vor dem ‚e‘ in ‚einmal‘ klar in zwei Wörter unterteilt.
In unserem Dialekt gibt es diesen Laut allerdings nicht, weshalb das Alemannische (wie z.B. das Französische) zu den Silbensprachen tendiert und verschiedene Wörter ‚resilbifiziert‘, also nicht nach Wortgrenzen, sondern nach Silben trennt. Versucht mal, im Hochdeutschen ‚luge einmal‘ nach Silben zu trennen. Hier hätten wir vier Silben: „lu-ge ein-mal“. Und jetzt versucht, das gleiche mit unserem Dialekt (‚lueg ämol‘) zu machen. Jetzt müsste euch aufgefallen sein, dass wir diese Zwei Wörter verschmelzen und nur drei Silben haben: ‚lue- gä-mol‘ – das ist diese spezielle ‚Resilbifizierung‘. Mit dieser Regel kann ebenfalls erklärt werden, weshalb ‚guck‘ seltener mit Vokalen vorkommt als ‚lueg‘. Bei ‚lue-gä-mol‘ endet die erste Silbe mit einem schön lautenden doppelten Vokal, einem sogenannten Diphthong. Wenn wir das gleiche mit ‚guck‘ machen, entstehen folgende Silben: ‚gu-ckä-mol‘. Hier endet die erste Silbe auf einem kurzen einfachen Vokal, was sich wesentlich weniger schön anhört.
Das hat seine Gründe: Silben, die mit zwei Vokalen oder einem langen Vokal enden, heißen ‚schwere offene Silben‘, während ‚leichte offene Silben‘ mit einem kurzen Vokal enden. In unserem Dialekt versuchen wir beim Verschmelzen von Wörtern, so oft wie möglich schwere offene Silben an Wortenden zu haben, weshalb sich ‚lueg ämol‘ schöner anhört als ‚guck ämol‘. Zurück zur Frage, weshalb wir manchmal ‚ich‘ und manchmal einfach nur ‚i‘ sagen.
Wenn wir Wörter verschmelzen, versuchen wir, wenn nur irgend möglich, die Struktur ‚Konsonant-Vokal‘ bzw. ‚CV‘ einzuhalten. Bei ‚Ich bi gangä‘ kommt es nicht zu Wortverschmelzungen bzw. Resilbifizierungen: ‚Ich – bi – gang – ä.‘ Wenn wir es allerdings wieder umstellen, kommt es wegen des hiatustilgenden ‚n‘ zu einer Wortverschmelzung zwischen ‚bin‘ und ‚ich‘: ‚Bi-ni gang-ä?‘ Bei der Wortverschmelzung fällt nun auf, dass die ersten zwei Silben jetzt strikt dem Muster ‚Konsonant-Vokal‘ folgen, was nicht mehr der Fall wäre, wenn wir ‚ich‘ mit ‚ch‘ aussprechen. Und genau aus diesem Grund sagen wir nur ‚i‘ in diesen speziellen Fällen, während wir ‚ich‘ sagen, wenn keine Wortverschmelzung vorliegt.
Als Schlusswort dieses Teils lässt sich also sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man ‚lueg‘ verwendet, stark erhöht ist, wenn darauf ein Vokal folgt, während ‚guck‘ und ‚schau‘ wahrscheinlicher vor Konsonanten vorkommen.
Die sogenannten Modalpartikeln ‚mal‘ (‚mol‘) und ‚einmal‘ (‚ämol‘)
Teil 4
Die drei Varianten ‚lueg‘, ‚guck‘ und ‚schau‘ haben eine Gemeinsamkeit, die sie von anderen Wortarten unterscheidet: sie alle kommen häufig mit den Wörtern ‚mal‘ oder ‚einmal‘ vor.
Die Fragen, die sich hier stellen, lauten: Weshalb kommen die Varianten manchmal mit diesen Wörtern vor und manchmal nicht? Warum bestehen so große Unterschiede in den Statistiken zwischen den Varianten? Und welche Funktionen haben die Modalpartikeln ‚mal‘ und ‚einmal‘?
Bevor ich diese Fragen beantworte, erst einmal zu den grundlegenden Zahlen: Allgemein kommen ‚schau‘ und ‚lueg‘ häufiger mit ‚mal‘ oder ‚einmal‘ vor als nicht, während ‚guck‘ viel seltener mit diesen Wörtern vorkommt.

Wenn wir uns nun anschauen, wie häufig die Varianten mit ‚mal‘ und wie häufig mit ‚einmal‘ vorkommen, fällt auf, dass fast nur ‚lueg‘ mit ‚einmal‘ vorkommt.

Diese Unterschiede sind sehr groß und deuten bereits darauf hin, dass hier irgendeine bestimmte Systematik dahinterstecken muss. Um das herauszufinden, müssen wir erst einmal wissen, was man bereits über ‚mal‘ und ‚einmal‘ weiß.
Überraschenderweise sind sich viele Forscher noch nicht ganz einig darüber, was diese beiden Wörter ‚mal‘ und ‚einmal‘ eigentlich genau bedeuten. Während einige sagen, dass diese Wörter eine Aufforderung höflicher machen, sagen andere, dass man sie nur benutzt, wenn man ausdrücken will, dass die Aufforderung nur einmalig ist. Für meine Arbeit bin ich davon ausgegangen, dass man ‚mal‘ und ‚einmal‘ immer dann an ‚guck‘, ‚lueg‘ oder ‚schau‘ anhängt, wenn man auf etwas sehr Wichtiges oder Neues hinweisen will.
Um herauszufinden, ob das auch stimmt, habe ich geschaut, ob nach den Aufforderungen etwas mit einem unbestimmten Artikel (‚ein‘, ‚einer‘, ‚eine‘) oder mit einem bestimmten Artikel (‚der‘, ‚die‘, ‚das‘) eingeführt wird; wenn ein unbestimmter Artikel verwendet wird, wird etwas Neues eingeführt und es müsste entweder ‚mal‘ oder ‚einmal‘ benutzt werden, während die bestimmten Artikel etwas bereits Bekanntes beschreiben. Und tatsächlich hat meine Analyse gezeigt, dass ‚mal‘ und ‚einmal‘ fast ausschließlich verwendet werden, wenn unbestimmte Artikel folgen, also etwas Neues eingeführt wird.
Teil 5
Es hat sich aber noch eine weitere Funktion von ‚mal‘ herausgestellt, die vor allem von Kindern verwendet wird, wenn sie die Aufmerksamkeit einer anderen Person wollen. Wenn ein Kind etwas gefunden hat oder etwas zeigen will, verwendet es häufig Wiederholungen:
‚Papa, papa, schau mal, schau mal, schau mal.‘ Stellt man sich nun vor, dass ein Kind dasselbe macht, allerdings ohne ‚mal‘, hört sich das auf jeden Fall unnatürlicher an. ‚Mal‘ kann also auch verwendet werden, wenn zwar nichts Neues eingeführt wird, man allerdings die Aufmerksamkeit eines anderen auf sich ziehen will, was bei Kindern sehr häufig vorkommt.
Nun stellt sich noch die Frage, weshalb vor allem bei ‚lueg‘ zwischen ‚mal‘ und ‚einmal‘ unterschieden wird. Natürlich spielt hier auch wieder die lautliche Thematik eine Rolle: da nach ‚lueg‘ viel häufiger Vokale vorkommen als bei ‚schau‘ und ‚guck‘, macht es natürlich Sinn, dass ‚einmal‘ vor allem nach ‚lueg‘ vorkommt. Allerdings erklärt das nicht, weshalb auch ‚mal‘ nach ‚lueg‘ vorkommt. Der Grund für diese Unterscheidung hat sich als sehr vielfältig herausgestellt und soll in einem späteren Teil ausführlicher dargestellt werden.
Bezogen auf die Thematik dieses Artikels hat sich allerdings schon eine Facette herausgestellt. Stellt euch vor, ihr wollt jemandem etwas zeigen, das sich gerade bei euch im Raum befindet. Und versucht jetzt, diese Sache einmal mit ‚guck mol …‘ und einmal mit ‚guck ämol …‘ zu beschreiben. Wenn euch jetzt aufgefallen ist, dass nach ‚ämol‘ automatisch und unbewusst eine längere Sprechpause eingefügt wird als nach ‚mol‘, macht ihr das gleiche, was ich in meiner Arbeit herausgefunden habe. Wenn ich sage ‚guck mol – än Stift‘, würden ich und die Sprecher in den Videos spontan keine bzw. eine sehr kurze Pause zwischen ‚mol‘ und ‚än‘ einfügen. Wenn ich allerdings sage ‚guck ämol – än Stift‘, ist diese Pause wesentlich länger. Das liegt daran, dass ‚einmal‘ einen Suchauftrag beinhaltet, der bei ‚mal‘ nicht vorhanden ist: wenn man ‚guck ämol‘ sagt, gibt man der anderen Person Zeit, die Sache, auf die man hinweisen will, selbst zu finden. Bei ‚guck mol‘ geht es allerdings nur darum, die Aufmerksamkeit auf die Sache zu lenken, wobei die Suchanforderung wegfällt. Und wer sich gedacht hat, dass man dem Gefühl nach nach ‚ämol‘ eher längere Sätze wie ‚… do isch än Stift‘ einfügen würde als nach ‚mol‘, hat auch schon eine kleine Vorschau auf ein späteres Kapitel.
Als Schlusswort dieses Artikels kann also gesagt werden, dass ‚guck‘ dazu tendiert, Sachen wieder in den Fokus zu rücken, die bereits bekannt sind. ‚Schau‘ wird häufig von Kindern verwendet, wenn sie die Aufmerksamkeit einer anderen Person haben wollen. ‚Lueg‘ hat die Funktion, neue Sachen hervorzuheben und beinhaltet häufig Suchaufträge, die Spannung bei der anderen Person erzeugen sollen.
Deiktika: Die Wörter ‚so‘, ‚da‘, ‚dort‘, ‚der‘ …
Teil 6
Im Laufe meiner Arbeit bin ich auf etwas sehr Unerwartetes gestoßen: ‚lueg‘ wird wesentlich öfter (12%) mit dem Wort ‚so‘ kombiniert als ‚guck‘ (2,08%) und ‚schau‘ (1,34%). Das bedeutet, dass ‚so‘ in irgendeiner Weise mit ‚lueg‘ verbunden ist, die es wahrscheinlicher macht, dass beide zusammen auftreten. Um dieser Frage nachzugehen, muss zuerst klargestellt werden, was das Wort ‚so‘ in Verbindungen mit ‚lueg‘, ‚guck‘ und ‚schau‘ überhaupt für Funktionen haben kann. Einerseits kann ‚so‘ als sogenannter Operator bzw. Diskursmarker fungieren, auf was im nächsten Kapitel näher eingegangen werden soll.
Andererseits gehört ‚so‘ zur Gruppe der sogenannten Deiktika. Dieser Fachbegriff beschreibt alle Wörter, die in ihrer Bedeutung eine Zeigegestik beinhalten; wenn man zum Beispiel sagt ‚guck da‘, erwartet der Hörer automatisch, dass eine Richtung vom Sprecher vorgegeben wird. Zu diesen Deiktika gehören üblicherweise die Demonstrativa, also die Wörter ‚da‘, ‚dort‘, ‚der‘, ‚die‘, ‚das‘ etc,, aber eben auch das Wort ‚so‘. Was dieses Wort allerdings so besonders macht, ist, dass es immer automatisch auf die Position des Sprechers zeigt. Wenn man jemandem sagt ‚gucke so‘, weiß der Hörer automatisch und ohne Zeigegeste, dass er die Aufmerksamkeit auf den Sprecher richten soll. Dabei verwendet man ‚so‘ in diesem Kontext immer dann, wenn man einer anderen Person zeigen will, in welcher Art und Weise etwas
gemacht werden muss. Zum Beispiel wird der Trainer im Fußballverein beim Training häufiger etwas sagen wie: „Guckt, so müsst ihr das machen.“ Ohne dass der Trainer jetzt mit seiner Hand auf sich selbst zeigt, wird jedem Spieler aufgrund des Wortes ‚so‘ sofort klar sein, dass man den Trainer beobachten soll.

Teil 7
Was aber, wenn nun ein Spieler einen anderen Spieler darauf hinweisen will, den Trainer zu beobachten? Selbst wenn dieser Spieler sagen würde ‚guck, so macht das der Trainer‘, würde der Hörer trotzdem denken, er solle den Sprecher anschauen und nicht den Trainer. Hier kommen sogenannte ‚W-Termsätze‘ ins Spiel, die in gewisser Hinsicht ein Gegenstück zu den Deiktika sind. An sich ist ‚guck so‘ gleichbedeutend mit ‚guck, wie ich das mache‘ bzw. ‚guck, was ich mache‘. Und nur diese Konstruktion kann auch in unserem Beispiel verwendet werden: ‚guck, was der Trainer macht‘ bzw. ‚guck, wie der Trainer das macht‘. Das gleiche Prinzip gilt auch für alle anderen Zeigewörter. Warum aber ist dann das Verhältnis des Wortes ‚so‘ derart unterschiedlich?
Angenommen die beiden Arten Deiktika (‚gucke so‘) und W-Termsätze (‚guck, wie der das macht‘) sind Gegenstücke, so müsste eine gewisse Systematik zwischen deren Vorkommen bestehen. Und tatsächlich hat sich gezeigt, dass folgender Trend besteht: je öfter Deiktika verwendet werden, desto seltener kommen W-Termsätze vor. Und noch weiter: das Wort ‚so‘ steht in einer starken Konkurrenz mit den Demonstrativa ‚der‘, ‚das‘ und ‚die‘. Dieses Ergebnis wurde bisher noch nicht in der Forschung beschrieben und könnte vor allem im Hinblick auf unseren Dialekt neue Erkenntnisse bringen.

Alles zusammengenommen kann also eine Konkurrenz zwischen allen Wörtern und Sätzen gezogen werden, die die Aufmerksamkeit des Hörers auf eine Position ungleich dem Sprecher richten und denen, die die Aufmerksamkeit auf die Position des Sprechers richten. So hat sich letztlich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ‚lueg‘ auftritt, um mehr als das 11-fache erhöht ist, wenn die Aufmerksamkeit auf die Sprecherposition gerichtet wird.
Diskursmarker: Wenn ‚guck‘, ‚schau‘ und ‚lueg‘ nichts mit sehen zu tun haben
Teil 8
Nun hat das Wort ‚so‘ allerdings noch eine zweite große Funktion, und zwar die als Diskursmarker. Dieses Konzept zu erklären, kann ganz schön lange und kompliziert werden, weshalb ich versuche, es mit einem Beispiel zu verbildlichen. Wenn jemand sagt ‚guck so‘, ist wie beschrieben klar, dass der Sprecher will, dass man ihn beobachtet. Wenn man jetzt allerdings sagt ‚so, guck ämol, jetzt messä mo überlegä, wie mos machäd‘, hat das Wort ‚so‘ klar eine andere Funktion und auch das Wort ‚guck‘ bedeutet nicht mehr unbedingt, dass man etwas beobachten soll. Im zweiten Beispiel fungiert ‚so, guck ämol‘ als sogenannter Diskursmarker. Diese Diskursmarker werden benutzt, um die Aufmerksamkeit des Hörers nicht auf eine beobachtbare Sache zu richten, sondern auf das, was man danach sagt. Und
genau diese Funktion ist bei ‚guck‘, ‚lueg‘ und ‚schau‘ relativ weit verbreitet. Wenn man sich nun wieder die unterschiedlichen Zahlen und Anteile zwischen den drei Wörtern als Diskursmarker anschaut, sticht erneut ‚lueg‘ heraus, das mit Abstand am häufigsten als Diskursmarker verwendet wird. Darüber hinaus überschreitet der Diskursmarkeranteil von ‚lueg einmal‘ die erwarteten Anteile um über das Doppelte, was eindeutig beweist, dass Sprecher zwischen ‚lueg mal‘ und ‚lueg einmal‘ unterscheiden, um anzuzeigen, dass ein Diskursmarker verwendet wird.

Dieses Ergebnis hängt mit den Ergebnissen von Teil 3 zusammen. Erinnert ihr euch, dass man nach ‚guck ämol‘ instinktiv eine längere Sprechpause macht als nach ‚guck mol‘? Typisch und charakteristisch für Diskursmarker ist, dass sie durch Sprechpausen von dem abgegrenzt werden, was danach gesagt wird. Somit kann also gesagt werden, dass ‚lueg einmal‘ bzw. in unserem Fall ‚guck ämol‘ instinktiv als Diskursmarker aufgefasst wird, der durch Sprechpausen erkenntlich wird.
Grammatik und Satzbau: Was für Sätze werden für ‚lueg‘, ‚guck‘ und ‚schau‘ benutzt?
Teil 9
Der letzte von mir untersuchte sprachliche Einfluss betrifft die Grammatik und die Länge der Sätze, in denen ‚guck‘, ‚lueg‘ und ‚schau‘ benutzt werden, denn es macht einen Unterschied, ob der Satz minimal (‚Gucke!‘) oder maximal (‚Dort vorne, guck, was der macht!‘) besetzt ist. Auch stellt sich die Frage, ob es Regelmäßigkeiten zwischen den drei Wörtern gibt und ob sie eher am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Satzes stehen. Erneut hat sich gezeigt, dass sich die drei Wörter stark voneinander unterscheiden: ‚guck‘ kommt am häufigsten in minimalen Sätzen vor (36,9%), gefolgt von ‚schau‘ (20,54%) und ‚lueg‘ (12,88%). Diese Zahlen spiegeln die bereits gewonnenen Ergebnisse wider, da vor allem ‚lueg‘ mit dem Wort ‚einmal‘ komplexere Sachen anzeigt als ‚guck‘, das häufig auf bereits Bekanntes hinweist.
Weiter noch zeigen die Zahlen, dass in diesen Minimalsätzen das Wort ‚mal‘ wesentlich
häufiger vorkommt als in größeren Sätzen.

Aber was bedeutet das nun? Dass die minimalen Sätze häufiger das Wort ‚mal‘ aufweisen deutet darauf hin, dass es vor allem bei ‚guck‘ möglich ist, die Sache, die man zeigen will, durch die sprachliche Zeigegestik von ‚mal‘ zu ersetzen, womit dieses Wort eine Art Platzhalterfunktion erfüllt. Dementsprechend ist zu erwarten, dass das Wort ‚mal‘ weggelassen werden kann, wenn das Objekt beschrieben wird (‚guck, do isch der Stift‘), allerdings nicht, wenn nur darauf gezeigt wird (‚guck mol‘). Somit würde ‚mal‘ auch in denen Fällen Neues beschreiben, in denen die Sache nicht sprachlich beschrieben wird.

So kompliziert das obige Schaubild wirken mag, so beweist es generell erneut die Ergebnisse, die in den anderen Teilen bereits beschrieben wurden. ‚Schau‘ und ‚lueg‘ können kaum Sätze ohne ‚mal‘ bilden, ‚guck‘ aber schon, was beweist, dass ‚guck‘ stark dazu tendiert, auf
Bekanntes zu zeigen. ‚Schau‘ weist die häufigsten minimalen Sätze mit ‚mal‘ auf (‚Schau mal!‘), was ebenfalls damit zusammenhängt, dass diese Konstruktion häufig von Kindern verwendet wird, um Aufmerksamkeit zu erregen. ‚Lueg‘ bildet am häufigsten komplexe und lange Sätze, was alle bisher beschriebenen Tendenzen bestätigt, aber auch zeigt, dass dieses Wort häufig von Erwachsenen verwendet wird.
Hauptergebnisse und Schlusswort
Teil 10
So, und was sind nun die größten Hauptergebnisse meiner Arbeit? Ganz allgemein hat meine Arbeit bewiesen, dass die drei Varianten ‚guck‘, ‚schau‘ und ‚lueg‘ unterschiedliche Funktionen haben und nicht, wie bisher beschrieben, bedeutungsgleich sind. Diese Diversität an Möglichkeiten ist einzigartig in unserem Dialekt, da nirgendwo anders in Deutschland alle drei Varianten verbreitet sind und zusammen vorkommen. Ebenfalls lässt sich allgemein sagen, dass es möglich ist, die Auftretenswahrscheinlichkeit aller drei Wörter anhand verschiedener sprachlicher Eigenschaften vorherzusagen. Das bedeutet, dass wir in unserem Dialekt (auch wenn diese Sachen eher im Raum WT liegen) unbewusst zwischen mehreren Varianten eines Wortes unterscheiden und instinktiv die passende Variante im passenden
Kontext verwenden, was im Hochdeutschen so gut wie nicht vorhanden ist.
Dabei passen wir die Wahl der Variante ganz ohne viel Nachdenken an verschiedenste Faktoren an: lautlich passen wir darauf auf, dass kein Hiatus entsteht und die richtige Silbenstruktur vorliegt. Wir kombinieren sie mit den Wörtern ‚mal‘ und ‚einmal‘ je nachdem, was wir zeigen oder erreichen wollen. Wir passen die sprachliche Zeigegestik an, um zu unterscheiden, ob auf den Sprecher oder auf etwas ungleich dem Sprecher gezeigt wird. Wir verwenden die Varianten metaphorisch als Diskursmarker und passen unsere Sprache so an, dass der Hörer genau weiß, dass es sich um einen Diskursmarker handelt. Und wir variieren die Länge und Komplexität unserer Sätze je nachdem, was wir mit welcher Variante erreichen wollen – und all das ohne jemals irgendwelche Regeln gelernt zu haben, einfach aus dem
Bauch heraus, wie wir es von Kind an von unseren Eltern und Großeltern gelernt haben.
Ich bedanke mich vielmals für euer Interesse und hoffe, dass ihr meinen Beitrag trotz aller
Fachbegrifflichkeiten spannend fandet.
Des isch hochinteressant, was de Niklas Grüninger do rusgfunde het. Großartig isch au, dass er des alles in sinem Mundelfinger Dialekt vezellt. Do soll nomol einer sage, mr kennt wisseschaftliche Sachverhalt nit im Dialekt vemittle. Er bewiist s Gegeteil. Merci vielmols! Un viel Erfolg bim Studium in Marburg.
Friedel
Vielen Dank an Niklas Grüninger für den super spannenden und wunderbar gesprochenen Podcast!
Ich freue darauf wieder von Dir zu hören!