März-Errungenschaften

März-Errungenschaften

13. März 2023 0 Von Wolf Hockenjos

Die 1848er Revolution: Auswirkungen auf Wald und Jagd in der Region

Wer bereitete eigentlich die Revolution vor? Die Hirsche und Rehe taten es, welche nachts in den Kornfeldern weideten; sie waren die eigentlichen Demagogen, die Aufreizer zum Missvergnügen, sie waren es, die dem armen Bauersmann die ersten liberalen Ideen einpflanzten. (Wilhelm Heinrich Riehl: Land und Leute. Stuttgart 1861)

Geschichtliche Ereignisse, zumal Revolutionen wie jene vor 175 Jahren, lassen sich nie monokausal erklären. Dennoch darf gefragt werden: Gab es Riehls vierbeinige „Demagogen“, die „Aufreizer zum Missvergügen“, etwa auch auf der Baar? War der herrschaftliche Wald auch im Fürstenbergischen so etwas wie das Zwing-Uri der großen Herren neben dem schutzlosen Äckerchen des kleinen Landmanns, wie er in „Land und Leute“ behauptet? Die Hirsche, soviel ist sicher, können es nicht mehr gewesen sein, denn die waren in freier Wildbahn nicht mehr vorhanden: Die hatte Fürst Joseph Wenzel bereits 1781 in einer generalstabsmäßig vorbereiteten viertägigen Treibjagd durch 7560 zur Jagdfron verpflichtete Untertanen in einen 2000 ha großen „Thiergarten“ im Tal von Bachzimmern treiben lassen. Schon in den Jahrzehnten zuvor war der Abschuss verstärkt und den Bauern erstmals erlaubt worden, Schutzmaßnahmen gegen den Wildverbiss durchzuführen, nachdem rund 1000 ha Ackerland wegen der enormen Wildschäden nicht mehr bewirtschaftet werden konnten. 

Spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nach Ausrottung von Wolf und Luchs, hatten insbesondere der Rotwildbestand und damit auch der Leidensdruck der Untertanen so zugenommen, dass der Fürst reagieren musste. Die Rotwildstrecke auf der Baar und „über Wald“ hatte 1753 die Rekordhöhe von 1357 Stück plus 191 Stück Fallwild betragen. 

„Abschaffung des Hochgewildes im Freien“ 
„Großer Thiergarten“ im Tal von Bachzimmern 

Seine großmütige „Abschaffung des Hochgewildes im Freien“, das Ende der Rotwildjagd außerhalb des Geheges, ließ sich der Fürst von den betroffenen Gemeinden allerdings teuer bezahlen: die Ablösesumme betrug stolze 80.000 Gulden! Der allerletzte Hirsch fiel 1851 fernab der Baar in den F.F.-Wäldern nahe Menzenschwand. Umso ungestörter hatten sich unterdessen der Rehwildbestand und sogar die Hasen vermehren dürfen. 

Ab 1818 existierte in Karlsruhe eine Zweite Kammer (eine Vorstufe des Parlaments), die alsbald förmlich geflutet wurde von Beschwerden und Petitionen, mit welchen erboste Bürgermeister auf die Nöte ihrer Bürger aufmerksam machten. So beklagt sich 1833 die Stadt Geisingen: Auf ihrer Gemarkung liege die Hofjagd des Fürsten, der das Wild ungewöhnlich stark hege, sodass es dem Landmann über den Kopf wachse. „Nicht bloß in den Saatfeldern, sondern auch in den Wäldern machen Rehe und Hasen unermesslichen Schaden.“

1837 folgt eine Petition zahlreicher Gemeinderäte und Gutsbesitzer aus Wolterdingen, Aufen, Mistelbrunn, Hubertshofen und Grüningen wegen allzu hohen Wildstands.

Ihr folgt 1839 eine Petition der Bürgermeister von Löffingen, Seppenhofen, Bachheim, Reiselfingen, Ditishausen, Göschweiler, Unadingen und Rötenbach: Auf ihren Gemarkungen, die der Standesherrschaft als Leibjagd vorbehalten seien, werde ein übertriebener Wildstand gehalten. Der Schaden, den das Wild in Gärten, auf den Feldern und in den Wäldern anrichte, sei ungeheuer. Der Wildstand sei hier so groß, wie er im ganzen Großherzogtum nirgends anzutreffen sei. Ganze Rudel von Rehen beweideten ihre „Öschen“. Was sie auch einsäen würden, die Felder sähen aus wie abgemäht.

Durch Wildverbiss geschädigte Weißtanne

Da in der Zweiten Kammer sachverständige Landwirte so gut wie nicht vertreten waren, neigte man dazu, die Schilderungen der Gemeinden als „Phantasiegemälde“ abzutun. Die Schuld an den Missständen liege nicht beim Fürsten, sondern bei seinen Bediensteten. Die Jagd verführe nun einmal zu Nichtsnutz und Liederlichkeit, weshalb der weise Großherzog es seinem Waldhutpersonal (wie auch den Lehrern) untersagt hatte, eine Jagd zu pachten.

Wie man andererseits mit Forstbeamten umsprang, die sich in Sachen Wildschäden zu weit aus dem Fenster lehnten, lehrt das Beispiel des großherzoglichen Bezirksförsters August Cron, der 1836 die (landesherrliche) Bezirksforstei Hüfingen übertragen bekommen hatte. In einer öffentlichen Versammlung hatte er die Wildstände auf den F.F.-Jagden zu kritisieren gewagt und war deshalb beim Fürstenhaus in Ungnade gefallen. Der Fürst höchstselbst beschwerte sich beim Großherzog über das für einen landesherrlichen Bezirksförster „höchst ungeeignete Verhalten“ und verlangte dessen Versetzung. Mit der Untersuchung des Falles wurde der Donaueschinger F.F.-Kollege beauftragt, der Cron als Mitglied einer ultraliberalen Partei verleumdete. Es ehrt den Großherzog, dass er seinem strafversetzten Beamten in Anerkennung seiner treuen Dienste 1870 das Ritterkreuz 1. Klasse zum Zähringer Löwenorden verliehen hat.

Derlei Disziplinierungsversuche änderten freilich nichts daran, dass die Zweite Kammer auch 1846 noch förmlich überschwemmt wurde mit Petitionen wegen Jagd und Wild, deren Ton sich zunehmend emanzipierter, in den Ohren des Fürsten zunehmend schriller und ungehöriger ausnahm. Eine Petition aus Tannheim etwa bezeichnete das Jagdrecht als „ein mittelalterliches Institut zur Lust und zum Vergnügen des Adels und zur Plage des Landmanns“. In der Diskussion über die Ergebnisse einer zur Klärung von Wildschadensfragen eingesetzten Kommission meldete sich auch der charismatische Mannheimer Abgeordnete Friedrich Hecker zu Wort, derselbe, der zwei Jahre später, am 15. April 1848 an der Spitze eines 400 Mann starken Zugs in Donaueschingen einmarschieren sollte, nachdem er zuvor in Konstanz die Republik ausgerufen hatte: „Obwohl ich Jäger bin“, unterstützte der streitbare Advokat einen Kommissionsantrag zum Dauerthema Wildschäden und führte dazu aus: „Das Jagdrecht ist als ein Ausfluss des Eigentums betrachtet worden. Es wäre nichts Natürlicheres, als dass jeder, der Grund und Boden besitzt, sich gegen Schädigung durch das Wild Hilfe schafft, indem er es erlegt.“

Vor dem Hintergrund katastrophaler Missernten erkannte die Regierung die brennende Lunte, und so erging im Mai 1847 noch eine Generalverfügung des Ministeriums des Innern gegen den Missbrauch des Jagdrechts. Dennoch sind auch in diesem Jahr noch zahlreiche Beschwerden der Baargemeinden beim Ministerium eingegangen, gegen die sich der Fürst mit Nachdruck verwahrte: Es würden hier „alljährlich waidmännische Jagden abgehalten“, und die hohe Jagd auf Rotwild sei sogar schon seit über einem Jahrhundert ganz beseitigt. Die Verbitterung des Fürsten über die wachsende Entfremdung zwischen ihm und dem Volk nahm weiter zu: „Wenn die Behauptungen der ungestümen Verfasser der Eingaben mich als Jagdberechtigten auch sehr empfindlich treffen, so müssen Form und Ausdruck, in welchen sie verfasst sind, noch weit mehr den gerechten Unwillen erregen. Nicht an mir kann es sein, eine Sprache zu ahnden, welche dem Gesetz zum Hohn in rücksichtslosen Ausfällen durch Drohung mit Gewalt und Selbsthilfe Person und Eigentum bedroht und die Erreichung unangemessener Wünsche auf solche Weise erzwingen will.“

Weit ist es nicht mehr bis zum Ausbruch offener Feindseligkeiten, so wenig verwunderlich es noch ist, dass die Baar zu einem der Zentren der Demokratiebewegung werden sollte. Am 1. März 1848 wurde der Kammer ein von Friedrich Hecker unterzeichnetes Programm vorgelegt, das dann auch mit geringen Änderungen dem Großherzog vorgelegt wurde mit der Forderung nach Beseitigung der Reste des Feudalwesens, insbesondere auch des Jagdregals. Zwar versprach die Regierung, den Forderungen nachzugeben, doch die Zusagen kamen zu spät: im Odenwald brachen offene Gewalttätigkeiten aus bis hin zur Zerstörung standesherrschaftlicher Rentämter. Auf der Baar kam es im März und April zwar auch zu Plünderungen und zu unerlaubtem Jagen, doch zur Schadensbegrenzung trug der Umstand bei, dass der Fürst eilends noch auf zahlreiche Rechte verzichtete und die Jagdausübung in den Jagden auf die Gemeinden übertrug.

Auch Großherzog Leopold reagierte noch rasch – zwei Tage vor Heckers (von den blutigen Berliner Barrikadenkämpfen ausgelösten) Konstanzer Putsch: Er unterschrieb das „Gesetz zur Aufhebung der Feudalrechte“ als da sind „Bann- und Fronpflichen“, aber auch sämtliche Jagd- und Fischereirechte, womit das Jagdregal gefallen war. Eine „billige Entschädigung der Berechtigten“ sollte durch besondere Gesetze nachträglich bestimmt werden. Doch wenigstens dieses Ergebnis der agrarsozialen Unruhen sollte den Bauern in den nachfolgenden Zeiten der Reaktion niemand mehr streitig machen.

Mitten in den revolutionären Wirren, am 26. Juli 1848, war noch als Übergangslösung das Gesetz zur Ausübung der Jagden verabschiedet worden, das den Gemeinden  das Jagdrecht zusprach und den Staatsbehörden das Recht, Anordnungen zur Verringerung des Wildstands und der Wildschäden treffen zu können. Im Nachhinein wird man das Jagdgesetz vielleicht sogar als Taschenspielertrick, als Bauernfang einordnen dürfen. Mit ihm ist es der Regierung jedenfalls gelungen, die Bauern aus der revolutionären Front herauszubrechen. Womit es den preußischen Interventionstruppen leicht gemacht wurde, die Unruhen auch in Baden niederzuschlagen. Preußische Standgerichte verhängten und vollstreckten bis zum 27. Oktober 40 Todesurteile.

Als sich im März herumgesprochen hatte, dass den Kammern der Gesetzentwurf über die Abschaffung der Feudalrechte vorlag, begann für ein paar Monate der Volksbewaffnung das, was sich in späteren Forst- und Jagdpublikationen als „Vernichtungskrieg gegen da Wild“ niederschlug: der rechtlose Zustand der „freien Büchse“, der nach Auskunft des F.F.-Jagdchronisten Stephani dazu geführt hat, dass „der Rehstand strichweise fast völlig aufgerieben“ worden sei. Dem Wald, insbesondere der so verbissgefährdeten Weißtanne, verschaffte die erfolgte Dezimierung des Rehwilds eine kurze Verschnaufpause und vielerorts eine Welle von Waldverjüngung, von der auf der Baar und im Schwarzwald noch heute viele tannenreiche Altbestände zeugen.

Gedenkstein im Unterhölzer Wald

 *iKurzfassung des Kapitels „März-Errungenschaften“ in Hockenjos, W.: Waldpassagen. Dold-Verl. Vöhrenbach, 2000