Adebar auf der Gruftkirche

Adebar auf der Gruftkirche

5. Juni 2021 0 Von Wolf Hockenjos

Was für ein hoffnungsvolles Signal in Zeiten des weltweiten Artenschwunds: Die Störche, Symbole für Fruchtbarkeit, Wachstum und Kindersegen, nehmen auch auf der Baar wieder kräftig zu. Allein in Neudingen bezogen dieses Frühjahr wieder acht Storchenpaare ihre Brutplätze, ob auf Giebeln, Telegrafenmasten oder Bäumen und, ganz wie es sich gehört, auf dem Dach des Gasthauses Zum Storchen, ein weiteres nebenan auf der Sonne. Doch das spektakulärste Nest hatte ein Paar im Frühjahr 2019 auf den Schwingen einer der Engelsgestalten des Bildhauers Adolf Heer erbaut, welche die Außensäulen der F.F. Gruftkirche von 1853 schmücken. Leider waren im Frühjahr 2020 die Engel auf ihren Säulen mitsamt dem Storchennest verschwunden. Wurden sie womöglich entfernt, um fortan allfällige Zweckentfremdungen zu verhindern? Wollte man auf solch rigorose Weise die Verunzierung durch ätzenden Storchenkot, gar die Beschädigung der Engel unterbinden? An Stelle der Skulpturen zieren jetzt antennenartige Metallstäbe alle vier Säulen rundum, anscheinend eigens dazu ersonnen, den Störchen das Rasten, erst recht das Nisten zu vergällen.



Die Rückfrage im Fürstenhaus brachte ernüchternde Entwarnung: Die Engelsgestalt samt Nest habe aus Sicherheitsgründen entfernt werden müssen. Das Postament sei am Zerbröseln, die Skulptur selbst auf der Rückseite gespalten gewesen. Doch drohte das nämliche Schicksal auch den anderen drei Engeln? Waren etwa auch sie marode, oder wollte man einfach vorbeugen, dass nicht auch sie Störche anlockten? Schade drum, für kunstsinnige Parkbesucher wie für die Störche! Das Paar war inzwischen umgezogen. Es nistete jetzt, weit weniger spektakulär als auf Engels Fittichen, unmittelbar über dem Eingangsportal zur Gruft, und sie hatten auch schon für Nachwuchs gesorgt im neuerbauten Nest.

Ob sich die fürstliche Liegenschaftsverwaltung auch hier mit Fragen zur Verkehrssicherungspflicht konfrontiert sehen würde? Oder ob man den Störchen unbesehen weiterhin Gastrecht gewähren wird – auch dann noch, wenn die Storchenjugend geschlüpft sein wird, wenn der Flugbetrieb zunehmen wird und auch der kalkweiße Storchenkot zunehmend als Ärgernis empfunden werden sollte?


Mitte August 2020, die Jungstörche hatten sich bereits auf den Wiesen der Riedbaar versammelt, um die Thermik des nächstbesten Hochdruckgebiets zum Start nach Süden zu nutzen, als die Tageszeitung unter der Überschrift Storchennest ist plötzlich weg die nachstehende Notiz aus Donaueschingen-Neudingen brachte: „Plötzlich war es weg. Und lange scheint dieser Zustand niemandem aufgefallen zu sein. Unbekannte Personen haben laut Mitteilung der Polizei im Marienpark des Klosters Neudingen ein Weißstorchennest entfernt, das sich auf der Gruftkirche der Fürsten zu Fürstenberg befand. Die Polizei ordnet den Vorfall in einem Zeitraum zwischen 12. und 26. Juli ein. Warum drei Wochen lang keine Anzeige erfolgt ist, kann sich Jörg Kluge, Polizeisprecher beim Präsidium Konstanz, auch nicht erklären. Möglicherweise hänge es damit zusammen, dass das Gelände schwer zugänglich ist. Oder man wisse nicht, dass ein Storchennest auch nach der Aufzucht der Brut nicht abgebaut werden darf. Da Weißstörche nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt sind ist es verboten, ihre Brut- und Ruhestätten zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.“

Doch egal: im Frühjahr 2021 war das Storchenpaar jedenfalls wieder da, um sich aus Astmaterial an gleicher Stelle über dem Eingangportal der Gruftkirche erneut sein Nest zu bauen. Und Frau Storch machte sich auch alsbald ans Brüten. Der April war der kälteste seit vierzig Jahren und auch der Mai war kühl und nass – fürs Brutgeschäft keine günstigen Voraussetzungen. Für die Neudinger Störche sah es dennoch nicht schlecht aus gegen Ende Mai: In allen Nestern war Nachwuchs zu versorgen. Einzig das Nest auf der Gruftkirche war offenbar aufgegeben worden. Was war passiert? War es ein erneuter Platzverweis? Ein Schelm, wer Zweifel hegt an der Willkommenskultur des Fürstenhauses!