Staugefahr

Staugefahr

11. Mai 2025 0 Von Wolf Hockenjos

Mobilität ist eine wesentliche Voraussetzung für persönliche Freiheit, gesellschaftliche Teilhabe sowie für Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Grundlage hierfür ist eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur.  (Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode)

In Berlin steht der Regierungswechsel bevor, was motorisierte Bürger jedoch nicht davon abhält, übers verlängerte Maiwochenende unterwegs zu sein. Am späten Samstagvormittag machen auch wir uns mit unserem altgedienten Skoda auf den Weg, denn im Allgäu sind wir zur Erstkommunion eines Enkels eingeladen. Auf  der A 81 herrscht lebhafter Betrieb in beiderlei Richtungen, und die meisten Verkehrsteilnehmer scheinen es brandeilig zu haben, rechtzeitig nachhause oder noch an den See, wenn nicht sogar ins Hochgebirge zu kommen. Nie scheint ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen (gar eine freiwillige Zurücknahme des Gasfußes zugunsten des Klimas) weniger vermisst zu werden als heute. Der Wetterbericht verspricht freilich nichts Gutes: Regen, gar Gewitter mit Hagel und ein Temperatursturz sind angesagt, weshalb es nicht verwundert, dass der Verkehrsfunk jede Menge Staus meldet; vorwiegend wird es ja wohl die vor dem Regen vorzeitig aus dem verlängerten Wochenende zurückflutenden Touristen treffen.

Ab Überlingen herrscht auch auf der B 31 plötzlich Stopp and Go, auch in Richtung Lindau. Sollten sich hier schon die mit Tempo 30 überlasteten Ortsdurchfahrten bemerkbar machen? Oder sind Unfälle die Ursache? Kurz nach der Klosterkirche Birnau meldet sich erneut der Verkehrsfunk: Auf der B 31 zwischen Langenargen und Friedrichshafen werden – sage und schreibe –  acht Kilometer Stau angekündigt!

Erst auf der neu erbauten Umfahrung Friedrichshafens verflüssigt sich der Verkehr wieder etwas – um dann per Blinkfeuer und Hinweisen auf Parkräume mit einem Mal wieder ausgebremst zu werden. Denn hier herrscht Messebetrieb. Angesagt wird die Tuning World Bodensee 2025, das „Szene-Highlight“ der Tuner, die Messe „für Lifestyle und Clubszene“ vom 3. bis 5. Mai. Diesmal sogar mit neuem Besucherrekord: mit 112.000 Autofans, wie abends im Hotelzimmer der SWR berichtet: Präsentiert würden rund 1.000 getunte, also optisch und technisch veränderte Autos, die sogenannten „Show-Cars“.

Mit am besten besucht, heißt es weiter in den Landesmeldungen, sei die sogenannte „Drifting-Area“ zwischen Messehallen und Flughafen Friedrichshafen. Aufheulende Motoren, der Geruch von Reifenabrieb und Benzin in der Luft – das „Driften“, das Gleiten der Fahrzeuge bei Vollgas seitwärts über den Asphalt, übten auf viele Besucherinnen und Besucher große Faszination aus. Bereits am Donnerstag seien bei einer „Drift-Show“ drei Menschen leicht verletzt worden. Ein Fahrer sei laut Polizei mit seinem Wagen bei einem Ausweichmanöver von der Strecke abgekommen und frontal in eine Absperrung geprallt. Zuschauer, die dort hinter Leitplanken standen, seien von umher fliegenden Trümmerteilen getroffen worden. Gegen den Fahrer werde nun wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Die Shows seien dennoch weiter fortgesetzt worden.

Kein Wunder also, dass sich heute der Gegenverkehr ab Messezentrum schon bis Langenargen auf eine Länge staut, wie wir sie auf Bundesstraßen bislang noch nie erlebt haben. Mag sein, dass auch die verstärkten Polizeikontrollen rund um die „Tuning World“, von denen der SWR berichtet, mit dazu beigetragen haben. Im Umfeld der Messe seien mehr als 700 Autos kontrolliert worden. Bei rund 40 Prozent der Fahrzeuge hätten die Veränderungen an den Wagen gegen das Gesetz verstoßen. „Oft waren die getunten Wagen viel zu laut. Mehr als 60 Fahrerinnen und Fahrer durften mit ihren Autos nicht weiterfahren. Bei rund 50 Fahrzeugen waren die Verstöße so groß, dass die Polizei die Autos beschlagnahmte.“ 

Auf der Rückfahrt aus dem verregneten Allgäu beschließen wir, den Bodensee weiträumig zu umfahren. Wie wir hoffen, werden wir uns anderntags am Fernseher bei den Berichten aus dem Reichstag wieder ausgiebig entspannen können. Doch daraus sollte bekanntlich dann nichts werden. Ob da den 18 gegen die Wahl des neuen Bundeskanzlers stimmenden Abgeordneten wohl auch die Verkehrspolitik im Koalitionsvertrag zu kurz gekommen ist? Oder ob ihnen mit einem Mal aufgegangen ist, dass Deutschlands Zukunft doch irgendwie anders gestaltet werden müsste?  Denn wie heißt es in der Präambel unter Deutschlands Zukunft gestalten: „Wir wollen, dass alle Menschen in Deutschland – Kinder, Frauen und Männer, Junge und Alte, in Ost und West – ein gutes Leben führen können und unser Land auf seinem guten Weg weiter vorankommt.“ Staus inbegriffen.