Reif für die Insel

Reif für die Insel

28. September 2021 0 Von Wolf Hockenjos

Ein Kurzbesuch der Internationalen Naturschutzakademie auf der Insel Vilm 

Einen privilegierteren und idyllischeren Standort für eine Naturschutzakademie als die „Malerinsel Vilm“ in Sichtweite der Insel Rügen kann man sich kaum ausdenken. Ihr spektakulärer Baumbestand hat einst schon Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus und viele weitere Künstler angelockt. Auch der kunstsinnige Schlossherr und Erbauer des benachbarten Städtchens, Fürst Malte zu Putbus, pflegte sich bisweilen dorthin zurückzuziehen, hatte er doch ein ausgeprägtes Faible für dicke Eichen, wie sie noch heute auch in seinem Schlosspark und als Alleebäume zu bewundern sind. 1959 hatte die DDR-Nomenklatura die Insel für sich entdeckt und dort für den exklusiven Eigenbedarf elf reetgedeckte Gästehäuslein errichtet; seitdem ruht hier der öffentliche Publikumsverkehr. Denn seit der Wende nutzt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Baulichkeiten als Akademie – auch sie sorgfältig abgeschirmt vom Rügener Touristikbetrieb: Nicht mehr als 60 Besucher pro Tag dürfen die Insel betreten und unter Führung jeweils eine 1,5stündige Runde durch den urigen Buchen- und Eichenbestand absolvieren. Für den Fährbetrieb des BfN-Personals und der Tagungsteilnehmer stehen zwei schmucke bundeseigene Motorboote zur Verfügung.

Am 6. – 7. September 2021 war die Tagung Biodiversität und Klima – Vernetzung der Akteure in Deutschland XVIII angesagt, die Teilnehmer und insgesamt 21 Referenten waren teils online zugeschaltet, teils analog (mit Mund-Nasenschutz) präsent. Durchgängiges Thema war – wieder einmal – der Klimawandel, vorgetragen und diskutiert wurden Referate von der „Dachbegrünung im Spannungsfeld zwischen Biodiversität und CO2-Speicherung“ bis hin zu „Carbon-Farming – ein bedeutender Baustein nachhaltiger Landwirtschaft?“. Dass auch ich selbst auf die Idee verfallen war, als Akteur der Akademie ein Referat zum Thema Windkraftplanung im Rotmilandichtezentrum anzudienen, hatte mehrere Gründe: So war ich bereits anno 2010 einmal als Referent auf der Insel (mein Thema: „Zur Zukunft des Bergmischwaldes“ – auch damals schon unterm Vorzeichen des Klimawandels) und hatte als Baumliebhaber Gefallen an ihr gefunden, Auch war mir mitsamt meiner Frau nach Tapetenwechsel und nach einer Woche Ostsee-Urlaub zumute nach all den Pandemie-bedingten Entbehrungen. Zumal sich auf dieser Tour vom tiefsten Süden in den hohen Norden der Republik doch auch die Nordlichter unserer Verwandtschaft wieder mal besuchen ließen. Und natürlich ging es mir auch um meine Botschaft: um das Dilemma der Unvereinbarkeit von Klima-, Arten- und Landschaftsschutz am Fallbeispiel der Windkraftplanung vor der eigenen Haustür, einem Windpark mit elf 250 m hohen Windenergieanlagen auf der Länge, der badischen Alb. Den hatte zwar eine Verbandsklage der Naturschutzinitiative per Urteil von Freiburger und Mannheimer Verwaltungsrichtern vorerst ausgebremst, doch die Betreiber wollen nicht lockerlassen und  haben erneut die immissionsschutzrechtliche Genehmigung beantragt. Nicht nur der Rotmilan, der „Charaktervogel der Baar“, würde das Nachsehen haben. 

So wurde also ein eintägiger Kurzbesuch der Tagung eingeplant, eine längere Teilnahme schien mir schon deshalb nicht ratsam zu sein, weil ich gewärtigen musste, mit meinem Vortrag auf heftigen Gegenwind zu stoßen, gar einen Shitstorm zu entfachen. Denn der in der Kollisionsdatenbank der brandenburgischen Vogelschutzwarte mit am häufigsten als Schlagopfer von Rotoren vertretene Rotmilan ist – zum Leidwesen der Energiepolitiker –  drauf und dran, die Energiewende zu durchkreuzen oder doch zu verzögern. 

Schon auf der Hinfahrt quer durch die Republik auf übervollen Autobahnen hatte sich uns die Frage aufgedrängt, woher bloß all der Strom herkommen soll nach dem Ausstieg aus Kohle, Kernkraft, Erdöl und Gas, wenn die Umstellung auf E-Motorisierung gelingen soll. All die Windräder beidseits der Autobahnen, die meisten stillstehend oder nur in schwacher Bewegung aufgrund des spätsommerlichen Hochdruckwetters, wollten uns ja hinnehmbar erscheinen, als notwendiges Übel, selbst wenn sie das Landschaftsbild noch so sehr entstellen. Doch was ist bei winterlicher Dunkelflaute und ohne adäquate Speichermöglichkeiten? Durch was für Landschaften werden unsere Kinder und Enkel erst fahren müssen, wenn das Heil in noch weit größerem Ausmaß von volatilem Flatterstrom erhofft wird? Geschwant hatte es doch schon dem Verhaltensforscher und Medizin-Nobelpreisträger Konrad Lorenz, dass wir bald überall werden hinfahren können, es sich aber nicht mehr lohnt, dort anzukommen: Weil mittlerweile auch die letzten naturnahen Kulturlandschaften mit gigantischen Türmen und Rotoren gespickt sein werden. 

War denn, nach drei Dürrejahren und einer verheerenden Flutkatastrophe, der Entschluss überhaupt noch zu akzeptieren, eines Vortrags wegen mit dem Benziner knapp eintausend Kilometer hoch und wieder runter zu düsen –  selbst unterm Vorzeichen des Bahnstreiks?

Einen Shitstorm hat mein Referat nicht ausgelöst, nein, es gab sogar verhaltenen Beifall. Und in der Mittagspause bot sich ja auch noch ein Rundgang an zu den Baumoriginalen der Insel.

Derweil tummelten sich vis-a-vis im Lauterbacher Hafengelände und auf den Alleen die umweltbewussten Radler in ihren bunten Trikots, auch sie schon vorwiegend E-motorisiert. Der Radverkehr schien schon in der Lutherstadt Wittenberg dank Elberadweg der große Renner der Saison zu sein, auf Rügen hatten selbst die Fahrgastschiffe massenhaft Leihrädern an Bord und auf den Straßen häuften sich die Pkws mit aufgesattelten E-Bikes auf den Heckträgern. Auch die Naturschutzgebiete erfreuten sich eines regen Besuchs per Rad wie zu Fuß, nur mit dem Badebetrieb wollte es nicht mehr klappen.

Die Heimreise übers erhofft Lkw-arme Wochenende sollte uns nochmals drastisch vor Augen führen, wie stark, selbst ohne Berufspendler, das Verkehrsaufkommen inzwischen zugenommen hat; allein schon der Freizeitverkehr auf Straßen und Autobahnen hat beängstigende Formen angenommen. Weshalb wir bereits weit oben in der Mecklenburgischen Schweiz fluchtartig die A 19 verließen, um uns auf Landstraßen durchs Havelland nach Süden durchzuschlagen. Man mag die Schriftstellerin Juli Zeh mögen oder nicht, doch Unterleuten schien uns buchstäblich zu verfolgen – von Windpark zu Windpark. Wie sehr werden wohl die Dörfer mit ihren dem Zerfall nahen LPG-Relikten und inmitten gewaltiger Ackerflächen von der Energiegewinnung profitieren und wie oft wird es sie in den Konflikten um die neue Nutzungsform zerrissen haben – ganz wie im Roman (inklusive seiner Verfilmung) geschildert?

Zu meines brandenburgischen Großvaters besten Zeiten bevölkerten noch Großtrappen die weiten Ebenen um den Fiener Bruch, wie der Opa uns Enkeln zu erzählen pflegte. Vor Jahren hatten wir seine im Dörfchen Zitz bei Wusterwitz verbliebene Verwandtschaft noch einmal besucht, nachdem ich mich zusammen mit meinem Bruder anno 1957 sogar einmal auf dem Fahrrad bis hier heraufgewagt hatte. Diesmal ersparten wir uns den Besuch, genervt vom Verkehrsaufkommen wie von all den Rotoren. Und als wir wieder die Autobahn nahmen, ging es zumeist Stop-and-Go vor lauter Einfädelungsvorgängen, wo immer die Fahrbahn erneuert wurde oder der Ausbau auf sechs Spuren läuft. Als rechneten sie im Verkehrsministerium noch mit einem weiteren Anschwellen des Autoverkehrs. Zuletzt standen wir unweit von Rothenburg ob der Tauber im Stau, kurz vor Erreichen der Grenze Baden-Württembergs – jenes Bundeslandes also, in welchem die regierenden Grünen und Schwarzen soeben per Koalitionsvertrag die Errichtung von 1.000 Windenergieanlagen im Staatswald festgeschrieben haben. Der Verkehrsfunk verkündete unterdessen die Vollsperrung der A 7 bis 18.00 Uhr wegen eines schweren Unfalls. Ob es da wohl wieder welche gar zu eilig hatten? Ein Tempolimit auf Autobahnen, so hatte Verkehrsminister Scheuer unlängst wissen lassen, sei „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet. Endlich dann doch zuhause gelandet, lese ich beim Abarbeiten des Zeitungsstapels in der Süddeutschen, dass bei Tempo 130 von heut auf morgen 2,2 Millionen, bei Tempo 120 gar 2,9 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten –  von den Stickstoffemissionen und der Verkehrssicherheit ganz zu schweigen. Wird sich was ändern nach der Bundestagswahl?

Lang lebe der Rotmilan!