Klimaschutz vs. Artenschutz:

Klimaschutz vs. Artenschutz:

13. September 2022 1 Von Wolf Hockenjos

Stirbt der Schwarzwälder Charaktervogel vollends aus?

So geräuscharm wie das kleine Waldhuhn, das Haselhuhn, um die Jahrtausendwende aus dem Schwarzwald verschwunden ist, wird sich sein großer Verwandter, das Auerhuhn, nicht davonstehlen können. Dazu ist der schwarz schillernde Hahn denn doch gar zu populär und auch zu schlagzeilenträchtig. An seinem dramatischen Schicksal nimmt die Öffentlichkeit jedenfalls regen Anteil – und sei es auch nur dank der ausgestopften Exemplare, jener Relikte aus den Zeiten der herrschaftlichen Hahnenjagd, die in manchen Wirtshausstuben bis heute überdauert haben. Unlängst war es gar leibhaftiger, ein balztoller Hahn, der für großes mediales Aufsehen gesorgt hat, nachdem er auf dem Feldberg von einem betrunkenen Festbesucher in vermeintlicher Notwehr erschlagen worden war. Da und dort sind es auch Hinweisschilder für Wanderer, Skiläufer und Mountainbiker mit der Aufforderung, Auerhuhnlebensräume zu meiden, die an sein Vorkommen gemahnen. Vor allem aber ist das Lamento der Windenergieplaner und -betreiber, die das Kreuz zu schlagen pflegen, wann immer das Auerhuhn als Argument ins Feld geführt wird; allenfalls der Rotmilan, das häufigste Schlagopfer in den Statistiken der Vogelschutzwarten, dürfte noch verfluchter sein. Doch wann hatte man eigentlich zuletzt das Glück, einem Hahn, gar der unscheinbareren Henne in freier Natur zu begegnen?


Am 11. Mai 2022 hat sogar der Stuttgarter Landtag eine knappe Stunde lang über das Auerhuhn debattiert. Wo doch der grün geführten Landesregierung nichts ungelegener käme, als wenn ausgerechnet sie mit ihrem durch Gasmangel und Ukrainekrieg neu entfesselten Windkraft-Elan für das Aussterben des „Schwarzwälder Charaktervogels“ verantwortlich gemacht würde.

So war es denn auch kein Wunder, dass grüne wie schwarze Abgeordnete im Brustton der Überzeugung hervorhoben, dass die Windenergie keinerlei Schuld treffe am so misslichen, allem Anschein nach unaufhaltsamen Rückgang des Schwarzwälder Auerhuhnbestands mit seinen eben noch insgesamt 114 Hähnen (gem. Balzplatzerhebung 2021).

Schon im Eingangsstatement des Abgeordneten Reinhold Pix (Grüne), des Sprechers für Wald und Wein, stand es fünf vor zwölf um die Hühner, im Beitrag seiner Kollegin Sarah Schweizer (CDU) sogar bereits eine Minute nach zwölf. Und auch der fürs Jagdrecht zuständige Forstminister Peter Hauk (CDU) ließ keine Zweifel aufkommen an der Dramatik der gegenwärtigen Situation, verursacht durch allzu dunkle Nadelwälder, durch den Besucher- wie den Raubwilddruck sowie gewiss auch durch den Klimawandel. Auch er verneinte jeglichen Einfluss der Windräder und verwies dabei auf das (vom Land Baden-Württemberg und aus Drittmitteln des Bundesverbands WindEnergie e. V. sowie einiger heimischer Energieversorgungsunternehmen finanzierte) internationale Forschungsprojekt Windenergie & Auerhuhn, das auch im Schwarzwald zu dem wenig erstaunlichen Ergebnis gekommen war, dass Auerhühner Windenergieanlagen weiträumig meiden und dass sie also auch nicht nennenswert vom Lärm, Drehbewegung und Schlagschatten der Rotoren gestresst werden können1.

Er versprach einen Maßnahmenplan, mit welchem der Beweis erbracht werden soll, dass Klima- und Artenschutz durchaus miteinander zu vereinbaren sind. Lediglich ein AfD-Abgeordneter hat es gewagt, Zweifel am Gelingen des Vorhabens anzumelden.

Mitten in den Sommerferien, am 17. August 2022, wurde der angekündigte Maßnahmenplan dann auch offiziell vorgestellt (in Pressemitteilung Nr. 122/2022) als Neue Planungsgrundlage Windenergie und Auerhuhn. Umwelt- und Energieministerin Thekla Walker und Forstminister Peter Hauk erklären darin gemeinsam: „Die neuen Hinweise ermöglichen einen beschleunigten Ausbau der Windenergie im Schwarzwald und sie schützen zugleich das vom Aussterben bedrohte Auerhuhn.“

Als ob die Habitate des scheuen Auerhuhns nicht ausgerechnet dieselben Kuppen und Bergrücken umfassen würden wie sie jetzt die Windenergieplaner ins Auge gefasst haben, wo doch im windärmsten Bundesland der Republik bestenfalls hier oben ausreichende Windhöffigkeit zu erhoffen ist. „Nach der neuen Planungsgrundlage“, so wird jetzt verkündet, „spielt der Auerhuhnschutz auf 15 000 Hektar Windpotenzialfläche im Schwarzwald künftig keine Rolle mehr.“ Es dürfte sich dabei vorwiegend um jene Flächen handeln, auf denen aktuell kein Auerwild mehr nachgewiesen werden kann, die bislang jedoch als potenzieller Lebensraum für eine Wiederbesiedelung reserviert geblieben waren – mithin für den optimistischen Erfolgsfall all der Schutzbemühungen, wie sie spätestens seit der Jahrtausendwende der regierungsamtliche Aktionsplan Auerhuhn vorsieht.

Der neuen Planungsgrundlage ist ein umfangreiches Kartenmaterial beigefügt, in dem die Auerhuhnlebensräume als Ausschlussempfehlung dunkelblau eingefärbt sind. Hinzu kommen hellblaue Korridore für den Populationsverbund zwischen den bereits stark verinselten Habitaten. Auch für die Verbindungskorridore gilt eine Ausschlussempfehlung, hatten die Schwarzwälder Auerhuhnexperten doch schon früh auf deren Unverzichtbarkeit hingewiesen2: „Ein in jüngster Zeit zunehmender Flächenbedarf entsteht durch den Bau von Windkraftanlagen. Gerade für wandernde Jungauerhühner, die für den Austausch zwischen den Teilpopulationen im Schwarzwald besonders wichtig sind, könnten Windräder sehr problematisch werden.“

Dass bereits heute etliche einst nutzbare Trittsteine und Korridore durch Windenergieanlagen entwertet, wenn nicht gar versperrt sind, ist längst kein Geheimnis mehr. Vor allem trifft dies für den erforderlichen Gen-Austausch zwischen der mittel- und der nordschwarzwälder Teilpopulation zu, so etwa für den bereits mit Windrädern besetzten Höhenzug östlich von Hornberg. Umso kurioser erscheinen etliche der nun angebotenen, oft recht gewundenen Korridore, die das Lernvermögen und den Orientierungssinn der jungen Auerhühner, so sie noch wandern wollen, fraglos auf eine harte Probe stellen werden.

Ocker eingefärbt sind auf den Karten „Restriktionen“, wobei einstweilen offen bleibt, was genau mit ihnen bezweckt werden soll. Ob sie für den Suchlauf des Forstministers wohl eher förderlich oder hinderlich sein werden? Mit seiner Task Force hat er laut Koalitionsvertrag allein im baden-württembergischen Staatswald Platz für 1000 Windräder ausfindig zu machen. Oder sollten beim Betrieb der Anlagen womöglich Einschränkungen zugunsten der Auerhühner zu erwarten sein? Was eingefleischte Artenschützer indes befürchten, ist, dass unter dem Primat des Klimaschutzes und durch die Zwänge der Energiewende der Bestand ohnehin nicht mehr zu retten sein wird, dass staatlicherseits in Wahrheit Krokodilstränen vergossen werden, ja, dass das Auerhuhn faktisch längst als „vogelfrei“ gilt – Planungsgrundlage und gesetzlicher Schutz hin oder her.

Im Schwarzwald mit der Lupe gesucht: Blick vom Aussichtsberg Kandel

Einen Vorgeschmack auf das, was dem Schwarzwald nächstens blüht, lieferte jüngst der Schwarzwälder Bote (vom 9. September 2022) in seinem Bericht über den Besuch des Ministerpräsidenten im Kinzigtal unter der Schlagzeile: „Kretschmann: Müssen Windräder im Schwarzwald mit Lupe suchen“. Zitiert wird der offenbar reichlich genervte Regierungschef mit den Sätzen: „Wir brauchen Windräder ohne Ende. Denn wo gibt es denn Windräder im Schwarzwald? Die muss man mit der Lupe suchen.“ Woraufhin die mitgereiste Umweltministerin auf Nachfrage noch eins obendrauf gesetzt hat: „Wenn wir klimaneutral werden wollen, werden es dann mehr als 1000 Windräder sein. Sogar doppelt so viele.“ Klar, dass dann auch der Auerhuhnschutz noch sein Fett abbekommt als maßgeblicher Verzögerungsgrund der Energiewende. Kretschmann: „Es ist ein rein konstruierter Zusammenhang, wenn Windräder nicht entstehen, weil das zu einem Rückgang der Auerhühner führen würde. Die Zahl der Auerhühner ist bereits gesunken, als es noch gar keine Windräder gab.“ Wohl wahr – und doch könnte ihnen exzessiver Bau von Windenergieanlagen in Kürze den letzten Rest gegeben haben.

 1 Vergl. Hockenjos, W.: Von Hühnern lernen. Was ein Forschungsprojekt aussagt über die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Auerhühner. ÖKOJAGD 2 – 2020

 2Bergmann, H., Klaus, S., Suchant R.: Auerhühner. G. Braun-Buchverl., Karlsruhe 2003