
Junge Eichelhäher
Liebe Bürgerpostleser,
das war wieder eine spannungsreiche Geschichte, kann ich Ihnen sagen. Aber der Reihe nach: Rita Schorp, unsere Nachbarin, kam von der Gassirunde nach Hause. Wie jeden Tag. Aber dieses Mal hatte sie in jeder Jackentasche etwas mitgebracht, Sie werden es nicht erraten. Sie war verständlicherweise ganz aufgeregt: „Franz, was sollen wir machen, die beiden sind am Wegrand gesessen und da musste ich sie einfach mitnehmen. Nicht dass die beiden der Fuchs holt“.
So, erst mal in Ruhe an die Sache ran. Ich holte den bewährten Vogelkäfig und setzte die beiden hinein. Wie die schon schreien konnten, fast wie die Alten. Dann fiel mir Ellen Claasen aus Villingen ein, die sich ehrenamtlich der Jungvogelaufzucht widmet. Sie ist eine absolute Retterin in der Not und blickt voll durch. Das hat sich auch in diesem Fall bestätigt. Zum Beispiel hatte Wolfgang Schorp rucki zucki etliche Regenwürmer organisiert. Mit der Pinzette legte er einen in den Schnabel, der Kerle brauchte nur zu schlucken, aber er zeigte keine Regung. Als Ellen das Bild sah, schrieb sie: „Eichelhäher sind in diesem Alter besonders schwierig aufzuziehen. Sie verweigern die Nahrung und stehen unter Dauerstress“. Und dann kam die Lösung: „Die beiden sind Ästlinge, die gehören an den Fundort zurück auf einen Ast gesetzt. Dort werden sie, wie alle Ästlinge von den Eltern weiter versorgt“. Ästlinge nennt man Jungvögel, die das Nest verlassen, aber noch nicht fliegen können und deshalb nicht voll selbstständig sind. Ellen sei Dank für sie richtige Antwort. Rita meinte dann, den Rücktransport können Wolfgang und ich ohne sie machen, sie erklärte uns den Weg, mal die Kurve, mal die andere und dann ist der Fundort gefunden. Ich sagte zu Rita, das hat so keinen Wert, da mußt Du mitfahren. Gesagt getan. Der Hammer war, dass ein Altvogel sofort schrie und die Jungen auch, da war uns klar, dass das funktionieren sollte.
Wir setzten sie auf einen Ast und man sieht man schön, dass ein Altersunterschied vorliegen muss. Das Daunengefieder des jüngeren ist noch nicht voll ausgebildet, er ist kleiner und die Schnabel ist viel schwächer ausgebildet. Ellen Claasen schätzte den Altersunterschied auf zwischen vier und acht Tage. Ganz beachtlich, aber ganz normal, denn es kann nur ein Ei je Tag gelegt werden. Und laut des Buches „Jungvögel, Eier und Nester“ von Colin Harrison wird bei Eichelhähern sofort nach dem Legen des ersten Eies mit Brüten begonnen, so dass es bei sechs bis sieben und teilweise noch mehr Eiern zu diesen Unterschieden kommen muss. Auf meine Frage, wieso der Jüngere auch ausgebüxt ist, antwortete Ellen: „Wenn alle sich auf den Weg machen, will er nicht alleine bleiben“. Das ist vollkommen plausibel.
Nette interessante Geschichte, die Rita Schorp ermöglicht hat. Ihr vielen Dank.
Herzliche Grüße
Franz Maus
Und die Moral der Geschichte:
Niemals Jungvögel mitnehmen!
Jedes Jahr zur Brutzeit häufen sich Fundmeldungen über scheinbar hilflose Jungvögel und andere Tierkinder, die aus dem Nest gefallen sind und von unzureichend informierten Spaziergängern mitgenommen werden. Dabei gilt: Wer auf einen einsam und hilflos wirkenden Jungvogel trifft sollte das Tier auf keinen Fall gleich aufnehmen, sondern es an Ort und Stelle belassen!
Die fast flügge Vogelbrut verteilt sich nach dem Verlassen des Nestes an verschiedene Stellen des Gartens oder Wäldchens. So können nur einzelne Tiere, und nicht die gesamte Brut auf einmal, von natürlichen Feinden entdeckt werden. Dass es sich bei den Jungvögeln um wirklich verwaiste und nicht um „Scheinwaisen“ handelt, kann man durch längeres – zwei bis drei Stunden –, vorsichtiges Beobachten aus einem Versteck, wie etwa hinter einer Fenstergardine, erkunden. Lediglich wenn Gefahr droht, wenn Jungtiere beispielsweise auf der Straße sitzen, sollte man eingreifen, die Jungtiere wegtragen und an einem geschützten Ort, aber nicht zu weit vom Fundort wieder absetzen.
Der Schein trügt häufig, denn die Jungen vieler Vogelarten verlassen ihr Nest bereits, bevor ihr Gefieder vollständig ausgebildet ist. Wichtig ist, dass der Finder eines „aus dem Nest gefallenen“ Jungvogels besonnen die Situation beurteilt und sich möglichst fachkundigen Rat einholt, bevor er handelt. Meist handelt es sich nicht um Waisen, sondern um fast flugfähige Jungvögel mit relativ vollständigem Gefieder, die durch Bettelrufe noch mit ihren Eltern in Verbindung stehen. Sobald der Mensch sich entfernt, können sich die Eltern wieder um ihre Kinder kümmern.
Gemäß Bundesnaturschutzgesetz dürfen Jungvögel übrigens nur vorübergehend und nur dann aufgenommen werden, wenn sie verletzt oder krank, und somit tatsächlich hilflos sind. Jungvögel, die mit nach Hause genommen werden, haben selbst bei fachgerechter Pflege deutlich schlechtere Überlebenschancen als in der Natur. Die elterliche Fürsorge in der Naturaufzucht kann niemals ersetzt werden, so dass die Handaufzucht immer nur die zweitbeste Lösung ist. Nur bei deutlich geschwächt wirkenden oder wirklich verwaisten Vögeln ist die Handaufzucht zu empfehlen, wie auch in Fällen, in denen durch Unwetter, Baumaßnahmen oder dergleichen der Nistplatz zerstört ist.
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/helfen/01945.html