Drei schwarze Schiffe
Ein Märchenprojekt der Autorin Margrit Vollertsen-Diewerge auf Deutsch, Esperanto und Russisch.
Jetzt hier auch auf Booremerisch.
Booremerisch: Maria Simon, Text: Hubert Mauz (2022)
Hochdeutsch: Klaus Karl-Kraus (2009)
Gar nicht weit von hier wohnte ein König, dem eine kleine Insel mit fünfhundert Einwohnern gehörte. Seine Insel hieß Tabeeum und die Einwohner waren Tabeaner, und sie alle liebten Tabea, die jüngste Tochter des Königs, die sie Tabs nannten.
Nach dem Tode ihrer Mutter war Tabs allerdings etwas eigensinnig geworden: Sie mochte nicht, dass jemand ihre Haare anfasste. Wenn der Hoffriseur kam und sagte:
„Liebe Tabs, lassen Sie mich Ire Haare kämmen”, so sagte sie:
“Ich kämme meine Haare schon alleine” und schickte ihn weg.
Und wenn er kam und sagte: „Teure Prinzessin, bitte erlauben Sie mir, Ihre Haare zu waschen.” so sagte sie: „Ich wasche mir die Haare schon alleine” und lief hinunter zum Fluss und wusch sie in dem kalten Wasser.
Ziemli wiit vu doo hät en König gwohnt. Dem hät e kleini insel mit nuu fiefhundert Insulaner ghört. Dem sii Insel hät Tabeeum ghoesse und drum hät mer dene Insulaner au Tabeaner gsait. Alle die hond die jüngscht Tochter Tabea vum König selli möge und ihre oefach Tabs gsait.
Noch em truurige und frühe Tot vu de Motter, de Königin, isch sie alledings ziemli oegesinnig wore. Sie hät nit megge, wenn ebber ihre Hoor aaglanget hät. Wenn de Hoffbarbier kumme isch und hät gsait: „Allerlibschte Tabs, därf ich ihre Hoor kämme“, hät sie gsait: „Ich kämm mini Hoorr scho aloenig“, und hät en wegschickt. Und wenn er kumme isch und hät gsait: „ Herzallerliebste Prinzessin, dürfti ihre Hoor wäsche ?“, no hät sie gsait: „ Ich wäsch mini Hoor selber“. Denno isch sie as murmelnd Bächli gange und hät d Hoor im kaalte Wasser selber gwäscht.
Zeichnung: Foster Anna und Singer Vanessa
Wenn er aber gar kam und sagte: „Ihr allergnädigster Herr Vater hat mir befohlen, Ihnen die Haare abzuschneiden”, so griff sie zur Schere und schnips! lagen die Ponys und die langen Strähnen am Boden.
Dann seufzte der König und dachte: „Hoffentlich nimmt das noch mal in gutes Ende!”
Als Tabs älter wurde, wagte der Hoffriseur nicht mehr zu fragen. Tabs nahm bunte Bänder, ein gelbes, ein braunes, ein rotes und ein blaues, und flocht sie abwechselnd in ihre langen Haare.
Nun wussten die Tabeaner immer, was sie tagsüber vor hatte. Wenn sie nämlich ein gelbes Band in die Haare flocht, ging sie auf die Felder, um den Bauer bei der Weizenernte zu helfen.
Wenn er aber kumme isch und hät gsait: „De allergnädigscht Herr hät befohle, dass ich ihre Hoor abschniede soll“. No hät sie kurzerhand selber zu de Scheer griffe und: Schnipp, schnapp, schnull, isch de Pony und die lange Zottle am Bode glege. No hät de König gjomeret und denkt; „Hoffetli nimmt des nomol e guets End“. Wo denno d Tabs älter wore isch, hät sich de Hofbarbier nimme traut z froge. D Tabs hät farbige Bändel , e geals, e bruus , e rots, und e blaus abweaselnd i ihrne Hoor inni zopfet. Tabeaner hond so gwisst, wa sie vorhät, wenn sie en geäle Bändel iizopfet hät. So isch sie mit dem geäle Bändel uff d Felder vu de Buure gange und hät dene bei de goldgeale Woeze- Earn gholfe.
Zeichnung: Pöhlmann Nina, Drexler Julia, Fautré Laura
Nahm sie in rotes Band, so ging sie zu den Winzern in die Weinberge, um die Reben zu
binden oder die Trauben zu schneiden.
Flocht sie in braunes Band in die Haare, dann lief sie auf die Koppel, um beim Striegeln der Pferde und Auskratzen der Hufe zu helfen.
Nahm sie aber in blaues Band, dann ging sie hinunter in den Hafen, um den Fischern beim Flicken der Netze oder Entladen der Boote zu helfen. Das aber sah der König gar nicht gern, denn dann stank Tabs ganz fürchterlich nach Fischen.
Hät sie en rote Bändel im Hoor ghet, isch sie zu de Wiibuure i d Rebberg gange zum Herbschte und Truube mit em Rebscheerli ab z schniede.
Hät sie en bruune Bändel trait, isch sie uff d Kopple gange zum Ross Striegle und Huf uuskratze.
Beim blau Schleifle isch sie an Hafe gange zu de Fischer und hät bim Netzflicke , Ablade vum Fischfang und beim Bootsschruppe gholfe.
Des hät halt de König nit gärn gsähne, weil sie denooch gruusig noch Fisch gmiechtelet hät, halt gfischelet hät.
Zeichnung: Kropfeld Judith
Als sie eines Tages wieder ihr blaues Band in den Zopf geflochten hatte und beim Netzeflicken half, rief in Fischerjunge: „Was segelt denn da auf unseren Hafen zu? So einen Kahn habe ich noch nie gesehen!”
Tatsächlich, da mussten hm alle recht geben.
Es war in Schiff mit altmodischer Takelage, und niemand war an Bord. Endlich war es ganz nahe am Pier, so dass die Fischer es an einem Poller festbinden konnten.
Wo sie a meine scheene Tag wieder s blau Bändeli in Zopf glismet hät und bei de Netzflicker war, joohlet z mols en Fischerbue: „ Wa seglet denn doo uff iisern Hafe zue ? So en Kahn hond mir jo no gar nie gsehne !“ Do hond ihm alli reacht gähe messe. S War e Schiff mit ere ganz altbachene Takelage und kon gotzige war uff dem geisterhafte Schiff. Won es ganz noh a de Hafemuur war, hond d Fischer es mit eme dicke Grächsoel schnappe kinne und a me Pfohl aasoele kinne.
Zeichnung: Hummitzsch Hannah
Da öffnete sich die Kajütentür und heraus trat der Käptn. Bei seinem Anblick zuckte Tabs zusammen, so voller Öl war er, verschmiert und unansehnlich, sogar sein Bart triefte vor Öl. Schon wollten die Fischer das Schiff schnell wider losbinden, damit der Käptn nicht an Land konnte, als er die Luke öffnete. Und was trug er herauf?
Große Seevögel, alle pechschwarz und mit Öl verschmiert wie er, und sie flatterten und rangen nach Luft.
„Schnell, helft mir, wir müssen die Vögel von dem tödlichen Ölfilm befreien,” rief Tabs und nahm sofort einen Seetaucher und badete ihn im nahen Fluss.
Da packten alle mit an, und nach einem Tag waren die Seevögel vom Öl befreit und schwammen
munter im Hafenbecken.
Uffs mol goht die Kapitänstüre uff und en bärbeissige Seebär, de Kapitän, isch breitboenig doogsande. Bi dem Aablick isch d Tabs verschrocke, weil der volle Öl war, versaalbet und verschmiert und verkumme. Sogar de Vollbart hät vor Öl tropfet. Und scho hond d Fischer den Kahn wieder losbinde welle, dass der gruusig, verkaibet Seebär nit as Land kumme khaa. Wo der sie knarrige Türe uffgmacht hät. Waa hät der denoo hinneverri trait ? Grosse, rappeschwarze Seevögel, alli mit Öl verschniert, so wie er selber. Sie hond verruckt gflatteret, lahmarschig gschnatteret und noch Luft gschnappt. „Schnell, schnell, helfet mir, mir mond die Vögeli vu dem bäppige , zähe Öldreck befreie und sie putze.“ rueft verzwieflet d Tabs. Sie schnappt en Seetaucher und badet und putz ihn im nohe Bächli. Jetzt hond alli mitgholfe und am End vum Tag waret alli vum Öl suuber putzet und sind luschtig und fidel im Hafebecke ummenand gschwadderet.
Zeichnung: Koltermann Anna-Kira
Der Käptn aber wusch sich nicht und sagte kein Wort. Er löste die Taue und segelte in
der Abendsonne davon.
Von nun an trieb es Tabs immer öfter hinunter in den Hafen. Sie band nur noch blaue Bänder in ihr Haar, und wann immer ein fremdes Schiff in der Ferne auftauchte, musste man es ihr sagen, sogar wenn es mitten in der Nacht war.
Einige Wochen waren vergangen, da schrie frühmorgens ein Fischerjunge: „Da ist das
schwarze Schiff wieder!”
Sofort war der Kai voller Neugieriger, und Tabs war mitten unter ihnen. Das Schiff kam langsam näher, wieder war von einer Mannschaft nichts zu sehen. Als der Kahn fest vertäut war, kletterte der Käptn heraus. Und was trug er nach oben? Lauter ölverschmierte Seehunde und Seelöwen, Seebären und Ohrenrobben, die verzweifelt nach Luft rangen.
De verdreckt Seebär hät sich aber nit gwäscht und koe Wort gschwätzt. Er hät s Soel uffbunde und isch i d Obedsunn devu gseglet. Ab dä isch d Tabs immer öfter an Hafe aabi gange . Sie hät bald nuu no blaue Bändel im Hoor ghet. Me hät ihre immer aakündige messe, wenn e fremds Schiff am Horizont ufftaucht isch , sogar z mitts i de Nacht. Es isch e paar Woche ummigange, do hät der Fischerbue wieder gjoohlet; „ Do isch des rappeschwarz Schiff wieder“. Ums ummigucke isch wider alls a de Hafemuur gstande und d Tabs z mitte drin. Des Schiff isch wieder langsam näher kumme und wieder hät mer koni Matrose gsähne. Wo denno de Kahn aabunde war, isch wieder der mächtig, ölversaalbet Seemaa uffi kräslet. Waa hät er desmol unne uffi kroomet ? Luuter ölverdreckete Seehund, Seelöbe, Seebäre, Ohrerobbe und alli hond verzwieflet und vergelschteret noch Luft gschnappet.
Zeichnung: Thiele Sylvie
„Schnell, helft dem Käptn”, rief Tabs und nahm ein Seehundbaby und wusch es im nahen Fluss. Da halfen alle Tabeaner mit und reinigten die Tiere von der tödlichen Ölschicht.
Als aber die Arbeit getan war und alle Seehunde und Seelöwen, Seebären und Ohrenrobben vergnügt im Hafenbecken schwammen und die Fische fraßen, die ihnen die Fischer zuwarfen, segelte der Käptn davon.
Von nun an band Tabs nur noch schwarze Bänder in ihr Haar, und sie war von frühmorgens bis abends unten am Hafen und der König machte sich große Sorgen. „Ach, wie soll das nur mit meiner Tabs enden” seufzte er. Denn sie hatte für nichts anderes mehr Interesse als für fremde Schiffe.
„Auf, Auf, hofele, helfet dem Kapitän !“ hät d Tabs gruufe und hät glii e Seehundkindli gschnappt und im nohe Bach gwäscht. Und wieder hond alli Tabeaner gholfe und die erbarmunswürdige Tierli vu dere todbringende Ölsaalbi zum befreie.
Wo aber die hilfreich Arbet gmacht war und alli Seehund, Seelöbe, Seebär und Ohrerobbe wieder fidel im Hafebecke ummenandgschwumme und taucht sind und sich mit Fischli gstärkt hond, die vu de Fsicher zuegworfe wore sind, isch de Seebär wieder Wort und Gruesslos devu gseglet.
Vu dä eweg hät d Tabs nuu no schwarzi Bändeli is Hoor innibunde. Vum Morge bis am Obet isch sie ab dä am Hafe ghuckt. De König hät des Verhalte vu dem Maidli selli gwormet, wie word des mit dere Tabs emol ende ? frogt er sich bsorgt. D Tabs hät nuu no Auge für fremde Schiff khaa.
Zeichnung: Präg Friederika
Viele Wochen vergingen, und Tabs wurde immer schweigsamer. Da, an einem nebligen Herbstmorgen, kam ein Fischerjunge ins Schloss gelaufen und rief: „Sagt Tabs, dass das schwarze Schiff in Sicht ist!”
Wie der Wind rannte Tabs den Berg hinunter zum Hafen, wo schon fast alle fünfhundert Tabeaner standen und warteten, was wohl dieses Mal an Bord des Schiffes war.
Brachte der Käptn einen ölverschmierten Wal mit?
Oder gar einen seltenen See-Elefanten?
Oder eine Seekuh?
Als sie die Leinen am Poller festbanden, war es ganz still am Pier. Nur das Kreischen der Seevögel und das Bellen der Seehunde und Seelöwen und Seebären und Ohrenrobben war zu hören.
Woche um Woche sind ummigange und d Tabs isch immer verstockter wore. Und z mols, a me neblige Herbstmorge, isch en Fischerbue is s Schloss grennt kumme und hät verkündt; „ Saget de Tabs, dass des schwarz Schiff wieder zum sähne isch“. Wie de Blitz isch d Tabs de Berg aabi grennt und zum Hafe gwetztet, wo scho alli fünfhundert Tabeaner gstande sind und gwartet hond. Wa word au desmol i dem wunderlichne Kahn sie ? Bringt der brummlig Seebär amend e Ölverschmierte Wal oder en rare Seeelefant oder e Seekuhe ?
Wo sie des dick Tau am Dalbe festbunde hond, isch es ganz liesli wore. Nu s Kraije vu de Seevögel, des Belle und Grunze vu de Seehund und de Seelöwe, de Seebäre und de Ohrerobbe war zum höhre.
Zeichnung: Fritsch Daniel
Es dauerte lange, bis die Kajütentür aufging und der schwarze Käptn heraustrat. Und was kam hinter ihm die steile Treppe herauf?
Viele kleine Kinder, halb verhungert und verdurstet und alle nackt.
„Schnell, helft dem Käptn” rief Tabs. „Holt Kleider und Schuhe, Brot und Kuchen, Milch und Tee. Die Kinder sind ja dem Tode nahe.”
Da rannten die Tabeaner und holten alles herbei und Tabs nahm das Hemd eines Fischers und wickelte ein kleines Mädchen darin ein, das vor Kälte zitterte. Das Hemd aber war viel zu lang und schleppte am Boden, und als das Mädchen darauf trat, fiel es beinahe ins Wasser. Da riss Tabs sich das schwarze Band aus dem Haar und machte daraus einen Gürtel. Der Käptn aber sah es und lächelte.
S isch nit lang gange, bis die Kapitänstüre uffgange isch und de schwarz Seebär uussi kumme isch. Und waa isch hinter ihm die Stapfle uffi kumme ?
Villi kleine Kindli, halb verhungeret und verdorschtet und alli buddelnäckig. „Schnell, Schnell, helfet dem Kapitän, holet dene Kiendi Schühli, Brot, Kueche, Milch und Tee. Die arme Kind sind jo fascht am verkumme“, rueft d Tabs luut. Do sind Tabeaner grennt und hond des alls broocht. D Tabs hä i me Fischer s Hemd abzoge und e vor Kälte zittrigs, klei Maidli drin iigwicklet. Des Hemd war vill z lang, sodass d Tabs druff dappet isch und fascht is Wasser kheit isch. Kuntenend riesst d Tabs ihre schwarz Bändeli us em Hoor und macht en Rähme druus.
De Seebär hät des gsähne und guetig glächlet.
Zeichnung: Martens Anna-Milena
Schließlich waren alle Kinder angezogen und schmatzten um die Wette, denn sie hatten riesigen Hunger. Der Käptn aber saß abseits und aß nichts. Da ging Tabs zu ihm und sagte: „Wenn wir auch nur fünfhundert Tabeaner sind und nur eine kleine Insel haben, so hat sie doch genügend Platz für die Kinder und für so einen barmherzigen Kapitän.” Da antwortete der Käptn zum ersten Mal und sagte: „Danke. Ich glaube, ich muss mich in wenig ausruhen.”
Als auch er gebadet, gegessen und getrunken hatte, saher aus wie ein ganz normaler Kapitän und
niemand fürchtete sich mehr vor ihm.
Ob die Kinder under auf der Insel geblieben sind oder er eines Tages mit dem schwarzen Schiff wieder davongesegelt ist?
Das können uns nur die Seevögel verraten, die weit übers Meer fliegen. Wer ihnen geduldig zuhört, dem werden sie es erzählen.
Endli waret alli Kindli aazoge und hond um d Wett gschmaust. Sie hond natierli en mords Hunger khaa. De Seebär isch abseits ghuckt und hät nint gesse. Do isch d Tabs zu ihm änni gange und hät gsait; „ Au wenn mir nu fünfhundert Tabeaner sind und nuu e kleine Insel sind, hond mir doch gnueg Platz für die arme Kindli und natierli au für so en warmherzige Brummbär vu me Kapitän“. Do sait de still Kapitän s erschmol ebbis ; „ Dankschee, ich glaub ich muess mi e wenig uusgruje“.
Wo au er badet war, gesse hät, trunke hät, hät er uusgsähne wie en ganz normale Seefahrer – Kapitän. Nähmert hät sich me vor ihm gfüerchtet oder verschobbet.
Ob die Kindli uff de Insel blibbe sind oder a me scheene Tag mit em Schwarze Schiff wieder devuu gseglet sind ?
Des könnet iis nuu die Seevögel verroote, die wiit übers Meer seglet. Wer dene ganz geduldig und uffmerksam zuelosset, dem wered sies gern verzelle.
Zeichnung: Lehmann Karin
Alle Rechte bei ©Margrit Vollertsen-Diewerge.
Frei in Baaremerisch-Alemannische Mundart übertragen von ©Hubert Mauz
Gesprochen von Klaus Karl-Kraus und Maria Simon.
Zeichnung: Fautré Laura, und Nollau Sarah