Waldpolitische Turbulenzen

Waldpolitische Turbulenzen

20. Juli 2024 2 Von Wolf Hockenjos

Ist der Wald etwa nur zehntausend Klafter Holz?
(Bert Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti. Zürich 1948)

„Oder ist er nicht eine grüne Menschenfreude?“, so fährt Herr Puntila in rhetorischer Frageform fort. Grüne Menschenfreude, soviel zeichnet sich bereits ab, wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte Novellierung des seit 1975 geltenden Bundeswaldgesetzes wohl kaum auslösen: Für die Berliner Ampel wird sie zu einer weiteren schweren Geburt werden, zumal für die Grünen samt Landwirtschafts- und Forstminister Cem Özdemir. Denn schon scheinen sich wieder die Bauern warmzulaufen, diesmal die Waldbauern, ein durchaus wehrhafter Teil jener Klientel, die sich im vergangenen Winter auf Straßen und Plätzen ausgetobt hatte. Der vorliegende Entwurf sei, so schäumt es im Netz, viel zu bürokratisch mit seinen vielen neuen Vorgaben und Verboten, die massiv in die Bewirtschaftung der Wälder eingreifen werden. Statt auf die Expertise und Erfahrung von Forstleuten und Waldeigentümern zu vertrauen und Freiraum für praxisnahe Lösungen zu schaffen, seien Gängelung und Regulierung zu befürchten, so argumentieren auch die großen Waldverbände und starten die Kampagne #fingerwegvomwaldgesetz – nicht nur im Netz, sondern auch auf Transparenten in Wald und Flur.


„Wenn der Wald könnte, würde er auf die Straße gehen“, lautet einer der Slogans in zarter Anspielung auf die winterlichen Demos, wo sich doch Forstmaschinen, Vollernter und Forwarder hinter den landwirtschaftlichen Treckern wahrlich nicht zu verstecken brauchten. „Freier und vielfältiger Wald statt Paragraphendschungel!“, so die Forderung der (48 % der deutschen Waldfläche bewirtschaftenden) Waldbauern und ihrer Interessenvertretungen. Das neue Bundeswaldgesetz sei sogar verfassungswidrig, meint ein von den Verbänden bestelltes Gutachten, zumal die „völlig überzogenen“ Strafvorschriften (von bis zu einem Jahr Haft). Gegen die Verfassung verstoßen würde auch „die in diversen Neuregelungen zum Ausdruck kommende Nachrangigkeit  der Holzproduktion gegenüber Klimaschutz und Biodiversität“, ob im Falle der vorgesehenen Kahlhiebsverbote, der Baumartenwahl oder beim gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand von 40 m von Maschinengasse zu Maschinengasse.

Doch eben diese Neuregelungen des Gesetzentwurfs gehen den Naturschutzverbänden noch nicht weit genug. Waren sie es doch, die auf eine Novellierung gedrängt hatten, weil unterm Vorzeichen des Klimawandels an Wald und Waldwirtschaft inzwischen doch ganz neue Anforderungen zu stellen sind. Eingefordert wird der Vorrang der Ökologie (des Waldökosystems) vor der Ökonomie (der Holzerzeugung). Derweil erregen sich im Netz die Mountainbiker, die sich ihre Singeltrails und Parcours nach dem Willen des Gesetzentwurfs jeweils vom Waldeigentümer genehmigen lassen müssen – eine Regelung, die bereits seit Jahren so im Landeswaldgesetz von Baden-Württemberg enthalten ist.

Klar, dass es da etlicher zusätzlicher Paragraphen bedarf. Und deren Umsetzung sollte dann ja auch zu kontrollieren und zu gewährleisten sein – durch das seit dem Jahrtausendwechsel gnadenlos ausgedünnte Forstpersonal und, analog dazu, massiv vergrößerter Forstbezirke und -reviere. 



Am Beispiel der auf Kulturflächen inzwischen fast obligatorischen Wuchshüllen, die dem Schutz vor Wildverbiss und der Wuchsbeschleunigung dienen (und mitunter an die Kriegerfriedhöfe um Verdun erinnern!), sei angedeutet, wie sich die neuen waldgesetzlichen Forderungen für den Waldwirt auswirken können. Ziel des Gesetzes ist zweifellos ein möglichst resilienter Wald, am ehesten erreichbar mit Hilfe eines naturnahen Waldbaus und unter weitestgehendem Verzicht auf Kahlflächen. Denn auf ihnen pflegt sich die erhoffte (naturgebundene) CO2-Speicherung des Waldbodens in eine CO2-Emissionsquelle umzukehren. Weshalb eine dauerwaldartige Bewirtschaftung unbedingt vorzuziehen ist. Wo aber dennoch Kahlflächen zu bepflanzen sind, sei es nach Sturm- und Borkenkäferschäden oder zwecks Baumartenwechsels, dürfen nach dem Gesetzentwurf künftig nur noch „biologisch abbaubare“ Wuchshüllen Verwendung finden. Wer dieser Forderung nachkommen will, muss sich zunächst zurechtfinden angesichts der überwältigenden Fülle unterschiedlichster Modelle, Materialien und Angebote, die mittlerweile allesamt biologische Abbaubarkeit für sich in Anspruch nehmen. Dies bei weit auseinanderklaffenden Beschaffungs- und Aufstellungskosten. Inwieweit und bis wann die Materialien dann tatsächlich rückstandsfrei verrotten, überlässt man dem Zahn der Zeit. Skepsis scheint angebracht zu sein, will man sicher gehen und keinen Beitrag leisten zum globalen Mikroplastik-Desaster.



Sollten die Transparente etwa nur aus Anlass der Stippvisite von Bundeslandwirtschafts- und -forstminister Cem Özdemirs auf der Baar (am 18. Juli 2024 unterwegs zur Aasener Agri-Fotovoltaikanlage) aufgespannt worden sein – auf Einladung des Bad. Landwirtschaftlichen Hauptverbands BLHV und des Landesnaturschutzverbands LNV? Grüne Menschenfreude wird hier nicht versprochen.