Sind Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Landschaft noch gefragt?
Ein Mensch erfährt es mit Empörung:
Eugen Roth: Ermüdung, 1948
Der schönsten Landschaft droht Zerstörung!
Ein Unmensch baut, und zwar schon bald
Ein Industriewerk in den Wald.
Der Mensch hat Glück und ihm gelingt,
Dass er die Welt in Harnisch bringt.
Seit sich das Ringen um die Energiewende zugespitzt hat, ist Landschaftsschutz anscheinend kein Thema mehr. Für Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Landschaft, wie sie gemäß § 1 Abs 1 Pkt. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes zu schützen sind, finden sich im öffentlichen Diskurs kaum mehr Fürsprecher, denn nun geht es ja um „Industriewerke“ der besonderen Art, ausgestattet mit dem Siegel des Klimaschutzes: um die Überbauung von Kultur- und Naturlandschaften mit bis zu 250 m hohen Windenergieanlagen. Allfällige Beeinträchtigungen von Landschaft und Landschaftsbild gelten dabei (etwa im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren) nur noch als wachsweiche Argumente. Erfolgreicher argumentieren allenfalls noch die Artenschützer, wann immer windkraftsensible Tierarten bedroht erscheinen, ob Seeadler, Schwarzstörche, Rotmilane, Auerhühner oder Fledermäuse. Doch selbst der Artenschutz gerät mehr und mehr in Verruf, sobald Zweifel angemeldet werden an der Seriosität des Widerstands oder an der Vereinbarkeit von Arten- und Klimaschutz. Von „Empörung“ (s. Eugen Roth) über die drohende Landschaftszerstörung ist hingegen nicht mehr viel zu spüren. Empörte Reaktionen waren sogar ausgeblieben, als die Landesregierung von Baden-Württemberg ihre Absicht verkündete, allein im Staatswald eintausend Windräder zu errichten. Wo Wind- und Solarparks inzwischen doch (gem. § 2 EEG, dem Gesetz für den Ausbau der erneuerbaren Energien) „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegen und „der öffentlichen Sicherheit dienen.“
Da muss uns heute der Text im Naturschutzgesetz, der sich den Schutzgütern Natur und Landschaft widmet, schon fast wie pure Nostalgie erscheinen: „Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlagen des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, dass die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert ist.“
Wie ein Relikt aus fernen Zeiten findet sich auch in Schutzgebietsverordnungen bis heute unter § 4 Verbote noch immer der Passus: Verboten sind alle Handlungen, die dem Schutzzweck zuwider laufen, insbesondere, wenn dadurch das Landschaftsbild nachhaltig geändert oder die natürliche Eigenart der Landschaft auf andere Weise beeinträchtigt wird oder wenn dadurch der Naturgenuss oder der besondere Erholungswert der Landschaft beeinträchtigt wird.
Nicht einmal der Umstand, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, mithin der Landschaft und der Tiere, zwischenzeitlich im Artikel 20 a des Grundgesetzes zum Staatsziel erhoben wurde, vermag die Welt noch in Harnisch zu bringen. Denn auch mithilfe des Grundgesetzes lässt sich der Zugriff selbst auf noch immer leidlich intakte, ökologisch wie touristisch hochwertige Kultur- und Naturlandschaften nicht mehr stoppen. Geschweige denn, dass Windparkplaner und –betreiber sich damit in die Unmenschen-Rolle (frei nach Eugen Roth) abdrängen ließen, wo es ihnen doch – bei allem unternehmerischen Gewinnstreben – um nichts Geringeres geht als um Klimaschutz, sprich: um die Rettung des Planeten.
Kann angesichts einer so hehren Anmutung Landschaftsschutz überhaupt noch ein konsensfähiges Anliegen sein? Oder ist nicht ohnehin alles nur mehr eine Frage der Gewöhnung? Ob sich die nachwachsenden Generationen (gar Angehörige der last generation oder der fridays for future) wohl in ihrem Schönheitsempfinden und in ihrem Wohlgefühl durch noch so monströse Windräder in der Landschaft überhaupt gestört fühlen werden in Zeiten, in denen im Wind sich drehende, noch so gigantische Rotoren doch eher Zuversicht verbreiten als Ablehnung und Unbehagen? Als ob das Windrad der grünen Anti-Atom-Bewegung nicht seit eh und je auch als symbolträchtiger Fetisch gedient hätte.
Zumindest bis zur Jahrtausendwende galt die Sehnsucht nach landschaftlicher Schönheit, Harmonie und Unversehrtheit noch als elementares Bedürfnis der zunehmend urbanen Bevölkerung – allemal in den kostbaren Urlaubswochen. Davon lebte der Tourismus in den Urlaubsregionen, und je rarer das ungetrübte Landschaftserlebnis wurde, desto energischer wurde zum Schutz und zur Pflege der Erholungslandschaft aufgerufen. Und wo es mit den landschaftlichen Reizen haperte, wo im Zuge der Industrialisierung bereits ab dem 19. Jahrhundert allzu viel Landschaft verhunzt und verbraucht worden war, wurden eilends „Verschönerungsvereine“ gegründet. Aus ihnen entstand 1864 in Freiburg der Badische Verein von Industriellen und Gastwirten, der sich alsbald in Schwarzwaldverein umbenannte. Vereinszweck war es laut Satzung, „Die Kenntnis über den Schwarzwald und sein Vorland zu erweitern, das Interesse an seiner landschaftlichen Schönheit zu wecken und zu verbreiten, das Wandern darin zu erleichtern sowie alle Bestrebungen zu unterstützen, welche seiner Erforschung und Pflege sowie seinem Schutz dienlich sind.“
Die Einheimischen sangen derweil aus voller Brust, nach einem Text des dichtenden Fabrikanten Ludwig Auerbach, „O Schwarzwald, o Heimat, wie bist so schön!“. Und nicht zuletzt dessen Namensvetter, der überaus populäre Schriftsteller Berthold Auerbach, sorgte mit seinen „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ dafür, dass Ruf und Bekanntheitsgrad des Schwarzwalds als „eine der schönsten und heimlichsten Bergwelten, die Deutschland besitzt“ (W. Jensen: Der Schwarzwald, 1901) national wie international immer weiter anwuchsen. Um seine Attraktivität in den stürmischen Wirtschaftswunderjahren nur ja nicht aufs Spiel zu setzen mit seinen rasch wachsenden Mittel- und Oberzentren, auch mit seinen ausufernden Gewerbegebieten selbst im ländlichen Raum, wurden umfangreiche Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen, mitunter den halben Landkreis umfassend, schließlich auch noch zwei Naturparke, ein UNESCO-Biosphärengebiet und ein Nationalpark.
All diese Bemühungen um Schutz und Erhaltung von bislang wenig belasteter, schöner und erholungstauglicher Landschaft sind unterdessen Schnee von gestern: Mit Ausnahme der Naturschutzgebiete, der Bannwälder und des Nationalparks schützt keine Schutzkategorie mehr verlässlich davor, zum Zielgebiet von Windkraftplanern zu werden. Erstmals 1994 hatte der Schwarzwaldverein in seiner Verbandszeitschrift das Thema aufgegriffen und auf drohende Konflikte hingewiesen. Drei Jahre später ließ er ein Positionspapier folgen, in dem er Windenergieanlagen zwar nicht rundweg ablehnte, doch sollten sie, bitteschön, bevorzugt auf vorbelasteten Standorten konzentriert werden. Womit sich der Verein durchaus noch auf politisch sicherem Boden bewegte, denn 1995 hatten das CDU geführte Umwelt- und das Wirtschaftsministerium in einer „gemeinsamen Richtlinie für die gesamtökologische und baurechtliche Behandlung der Windenergieanlagen“ exakt ins nämliche Horn gestoßen: „Um das Landschaftsbild…möglichst wenig zu beeinträchtigen, soll geprüft werden, ob nicht ähnlich geeignete und erschlossene Standorte bereits Vorbelastungen durch Bundesfernstraßen oder andere Bauwerke (z. B. Turmbauten, Freileitungen, größere Bauwerke) aufweisen.“ Die Langzeitwirkung dieser Richtlinie ist erstaunlich: Seither wird der CDU „Verhinderungspolitik“ vorgeworfen.
Am 9. November 2002 verfasste die Delegiertenversammlung des Schwarzwaldvereins eine Resolution Schwarzwald und Energie, in welcher die verschiedenen regenerativen Energieformen beleuchtet und bewertet wurden. Fazit: „Windkraftanlagen dürfen im Schwarzwald nur nachrangig und nach sorgfältiger Abwägung in der Regionalplanung gebaut werden. Wertvolle Landschaften sind großräumig von Windkraftanlagen freizuhalten. Die Landschaft erheblich beeinträchtigende, das Landschaftsbild verändernde, den Naturhaushalt und die Erholungsfunktion störende Energieanlagen werden abgelehnt.“
Bereits am 30. März 2002 war in der Badischen Zeitung unter der Überschrift Unser Schwarzwald ist in Gefahr! Windkraft: viel Schaden – wenig Nutzen der Aufruf einer Bürgerinitiative zum Schutz des Hochschwarzwaldes erschienen, unterzeichnet von einer Vielzahl von Prominenten: „Der Schwarzwald“, so wird gewarnt, „zählt zu den wenigen verbliebenen intakten Erholungs- und Naturlandschaften Europas. Diese besonders schützenswerte Landschaft wird durch die geplante Errichtung von über 140 Windindustrieanlagen zerstört. Die bis zu 150 m hohen Windtürme werden unser Landschaftsbild technisch überformen und verunstalten. Ein solcher Eingriff darf niemals zugelassen werden!“ Auch der Naturpark Südschwarzwald e. V. ließ 2002 noch ein vor den Folgen ungesteuerter Windenergienutzung warnendes Thesenpapier folgen.
Am 22. Oktober 2011, neun Jahre nach jener Delegiertenversammlung, tagte der Schwarzwaldverein erneut zum Thema Erneuerbare Energie, und wieder ging es vorwiegend um das Landschaftsbild. Beim weiteren Ausbau der Windkraft, so die Forderung im Ergebnispapier, solle „die ästhetische Dimension des Naturschutzes und das Gebot der Erhaltung landschaftlicher Schönheit gleichrangig neben den Zielen des Biotop- und Artenschutzes“ stehen. Eine Forderung, der sich der anwesende Vorsitzende des Schwäbischen Albvereins vorbehaltlos anschloss, nicht ohne anzufügen, dass auch der Schwäbische Heimatbund sich damit identifizieren werde.
Nichts von all den Forderungen und Warnungen hat mehr gefruchtet. Der Ausbau verlief zwar weitaus schleppender und unkoordinierter als von der inzwischen grünschwarzen Regierung erhofft. Und doch ist die Verunzierung des Landschaftsbilds nicht mehr zu verdrängen: Allein vom Aussichtsberg Kandel aus sind es inzwischen je nach Fernsicht bis zu 40 Windräder, die den Blick suggestiv auf sich ziehen und das Gesicht der Landschaft entstellen. Was Ministerpräsident Kretschmann, ein leidenschaftlicher Albwanderer und mutmaßliches Mitglied des Schwäbischen Albvereins wie des Schwäbischen Heimatbunds, bei seinem jüngsten Schwarzwaldbesuch im neuen Windpark Hohenlochen (auf den Gemarkungen Hausach und Oberwolfach) dennoch nicht von seinem entnervten Ausruf abgehalten hat: „Wir brauchen Windräder ohne Ende. Denn wo gibt es denn Windräder im Schwarzwald? Die muss man mit der Lupe suchen.“, so jedenfalls zitiert ihn der Schwarzwälder Bote vom 9. 9. 2022. Und die Umweltministerin, die den Regierungschef begleitete, soll nach derselben Quelle noch eins obendrauf gesetzt haben: „Wenn wir klimaneutral werden wollen, werden es dann mehr als 1000 Windräder sein. Sogar doppelt so viele.“
Ebenfalls noch in diesem Krisenjahr, am 7. 11. 2022, verriet die Neue Zürcher Zeitung unter der Schlagzeile Windkraft in Deutschland: Große Versprechen, kleine Erträge die „wie ein Staatsgeheimnis“ gehütete Auslastung deutscher Windparks. Die liege im windarmen Baden-Württemberg gerade mal bei 17 % (gegenüber dem Bundesdurchschnitt von 24 %). Sind wir Deutschen demnach nicht alle wie betäubt von der Vorstellung, die Energiekrise maßgeblich mithilfe der Windkraft meistern zu können – was leider halt auch die uns noch verbliebenen, wohltuend schönen und kaum vorbelasteten Landschaften nicht mehr retten wird. Deren Wert, soviel ist absehbar, wird ins Unermessliche wachsen – im nämlichen Tempo wie sie vollends schwinden. Fast sieht es so aus, als sollte der noch so geharnischte Einsatz für einen verlustärmeren Weg aus der Krise enden wie weiland in Eugen Roths Ermüdungs-Gedicht…
Der Landrat rät dem Unbequemen,
Die Sache nicht mehr aufzunehmen.
Es wollen Presse auch und Funk
Sich nicht mehr mischen in den Stunk.
Der Mensch steigt von den Barrikaden –
Er ist zum Richtfest eingeladen.
Gut so! Wieder mal ein “echter Hockenjos”. Er ist leider einer der letzten Rufer im allgemeinen Mainstream-Denken.
Was wunder, daß der NZZ -Bericht mit den niederschmetternden Windertragszahlen in BA-WÜ ohne Aufschrei bleibt.
Ich bleibe dabei, solange die Windkraftbetreiber höchstverschwenderisch mit Bürgergeld (Stompreiskartell) um sich schmeißen, sind das für mich politisch geschützte ” Geldveruntreuer. Für einen etwa sportplatzgroßen Windkraftstandort im Wald zahlt er dem Waldbesitzer 30 Jahre lang 20.000 € pro Jahr und dies für eine Fläche, wo der Waldbesitzer max 250 pro Jahr erwirtschaften könnte.
Was sagt eigentlich der so arg gescholtene Schwarzwaldverein dazu? Vermutlich dasselbe wie die CDU!