Umbenennung
Vom Hans-Thoma-Preis zum Landespreis für bildende Kunst
Weidberge, Bächlein, weit überstehende Walmdächer, Wald: der Südschwarzwald gilt uns bis heute, wo immer er sich noch als Idylle präsentieren darf, als „Hans-Thoma-Landschaft“. Und alle zwei Jahre pflegt die Kunstwelt nach Bernau zu pilgern, um im dortigen Hans-Thoma-Museum der Verleihung des Hans-Thoma-Preises beizuwohnen und die Ausstellung mit den Werken des aktuellen Preisträgers zu begutachten. Doch diesmal wurden nicht nur wir Schwarzwälder Hans-Thoma-Verehrer von Medienberichten aufgeschreckt: Der Preisträger des Jahres 2023, Prof. Marcel van Eeden, Rektor der Karlsruher Staatl. Akademie der Bildenden Künste, habe sich kritisch mit Thoma auseinandergesetzt und dabei aufgedeckt, dass dieser ein völkisch antimodernes Weltbild vertreten und sich mehrfach antisemitisch geäußert habe. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu dem mit 25.000 Euro dotierten Preis, mit dem ja „innovative Positionen“ ausgezeichnet werden sollen. Woraufhin das Stuttgarter Kultusministerium beschlossen habe, den Preis umzubenennen. Neu konzipiert werde 2024 zum hundertsten Todestag des Malers auch die Bernauer Dauerausstellung.
Bekannt war bislang allenfalls, dass Hans Thoma zu den Unterzeichnern des Manifests der 93 gehörte, mit dem Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller im September 1914 den Versuch unternommen hatten, den deutschen Militarismus zu verteidigen und die gleich zu Beginn des Kriegs in Belgien an der Zivilbevölkerung begangenen Kriegsverbrechen abzustreiten. Doch van Eeden deckte zudem Dokumente von einer Reise Thomas zur Rembrandt-Ausstellung in Amsterdam auf, anhand derer er glaubt nachweisen zu können, dass Deutschlands populärster Maler, zugleich Rektor der Karlsruher Akademie und Abgeordneter, bekennender Antisemit gewesen sei. Weshalb bloß hatte man bisher nie etwas davon mitbekommen? Dass er posthum auch von den Nazis vereinnahmt wurde, ist ihm ja nicht mehr anzulasten und hat seiner Beliebtheit dann auch bis heute nichts mehr anhaben können. So wenig wie der Umstand, dass er vom Impressionismus und Expressionismus seiner Malerkollegen nichts mehr gehalten hat.
Im Jahr 1919, fünf Jahre vor seinem Tod, hat Hans Thoma seinen Lebensrückblick Im Winter des Lebens: Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen veröffentlicht. Das Buch ist 1989 zur 150. Jährung seines Geburtstags vom Landkreis Waldshut und der Gemeinde Bernau unverändert neu herausgegeben worden. So kritisch man es heute durchmustern mag, es findet sich darin nicht die geringste Spur von Völkischem, gar von Antisemitismus. Als ob der soeben verlorene Krieg, als ob Dolchstoßlegende, Revolution und Verbannung des Kaisers einem für imperialen Zungenschlag Anfälligen, den der Großherzog 1907 in die erste badische Ständekammer berufen hatte, nicht Anlässe genug geboten hätten, sein „völkisch antimodernes Weltbild“ (absichtlich oder unbeabsichtigt) in den Text einfließen zu lassen. Nichts dergleichen lässt sich darin finden – selbst in Passagen, in welchen sich Hans Thoma mit Politik und mit seiner Selbsteinschätzung als Abgeordneter befasst (Textprobe):
Ich kam auch bei jeder Landtagsperiode ein oder zweimal zum Reden, dabei ließ ich mich nur auf Fragen ein, in denen auch ein Künstler mitsprechen kann. So z. B. über Naturschutz, über Vogelschutz, auch über die jährlich wiederkehrenden Kunstakademie- und Galeriefragen, über Zeichenunterricht, auch einmal über Sittlichkeitsfragen, insoweit sie die Kunst berühren.
Auch das Thema Krieg hat er nicht ausgespart:
Ich sitze in meinem Waldhäuschen Marxzell, wo wir gerade noch, es ist August 1918, von ferne die Fliegerabwehrkanonen von Karlsruhe her hören. Bei meinem recht langen Lauf durchs Leben habe ich so viel Elend und Menschenjammer erlebt, um zu wissen, dass es nicht erst dieses mörderischen Krieges bedurft hätte, um zu wissen, dass unser Dasein Leiden ist, nicht der Mühe wert, es abzuspinnen. Der Krieg ist ein schlagendes Beispiel dafür, wie wenig Wert die Menschenknochen haben. Im fünften Jahr schon erzählen die Tagesberichte der Völker sich gegenseitig, wie viel Menschenkörper durch ihre Mordmaschinen vernichtet worden sind, sie rühmen sich, wie viel Herzeleid sie sich angetan haben.
Schreibt so ein Völkischer, ein Imperialist? Nein, dem Achtzigjährigen fehlt es in seinem Lebensrückblick auch durchaus nicht an Selbstkritik:
Ja, wenn auf einer Wegstrecke auch der leibhaftige Teufel einmal mitgewandert sein sollte und man sich mit ihm ganz gut unterhalten hat, so sollte man höchstens von ihm sagen, dass einem sein Geruch widerlich war. Das mag aber wohl gegenseitig gewesen sein.
Egal, welcher Teufel auf welcher Wegstrecke da „einmal mitgewandert“ sein sollte: War die Umbenennung des Hans-Thoma-Preises wirklich unumgänglich? Ist sein Fall auch nur annähernd vergleichbar mit dem Schicksal des Malers Emil Nolde, nachdem sich bei ihm herausgestellt hatte, dass er einerseits zwar als „entarteter Künstler“ verfemt war, andererseits aber dennoch Rassist, Antisemit und Anhänger des Nationalsozialismus? Oder wirft der Bernauer Vorgang nicht eher ein bezeichnendes Licht auf den gegenwärtigen Kunst- und Wissenschaftsbetrieb – mit dessen Hang zur Politisierung, zu Diversifizierung, Skandalisierung und zum Canceln?
Ich teile die Kritik an van Eeden’s manipulativem Umgang mit neuen Quellenfunden. Trotzdem gibt es einen wahren Kern: tief verwurzelte Vorurteile und Verwendung von Stereotypen gegenüber Juden waren in der Gesellschaft des Kaiserreichs weit verbreitet und haben ihre Wurzeln z.T. in antijudaischen Argumenten der christlichen Theologie. Selbst ein sympathischer und empathischer Künstler wie Hans Thoma konnte sich dem nicht ganz entziehen und verwendete selten in privaten Briefen solche Formulierungen. Das würde ich aber nicht als Antisemitismus bezeichnen, unter dem wir nach dem Holocaust heute etwas ganz anderes verstehen.
Ähnlich argumentiert übrigens auch Prof. Engehausen und sein Team, das vier Jahre zu Thoma forschte:
Van Eeden hat sich mit dessen differenzierter Position nicht auseinandergesetzt.
Ich habe meine Überlegungen zu Thoma hier zusammengefasst:
https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/8667/