Peter und der Wolf

Peter und der Wolf

29. Juni 2022 2 Von Wolf Hockenjos

Hier soll es ausnahmsweise einmal nicht um Sergei Prokofjews Musikmärchen gehen, so wenig das Märchenhafte ganz außer Betracht bleiben soll. Für Wolf! – diese Widmung fand ich zu meiner Überraschung mit Datum vom 18. 5. 22 auf der Innenseite des Buchcovers, dazu ein genialisch-schwungvoller Schriftzug: unzweifelhaft das Autogramm des Autors Peter Wohlleben. Ihn hatte die Villinger Sparkasse unlängst zu einer Vortragsveranstaltung in die Tonhalle eingeladen. Immerhin 600 Besucher waren der Einladung gefolgt – ferngeblieben waren ausnahmslos die Forstbediensteten. Denn von den Grünröcken wird Peter Wohlleben inzwischen gemieden als sei er der Gottseibeiuns höchst selbst. Für Furore sorgt derzeit vor allem sein 2021 erschienenen Buch DER LANGE ATEM DER BÄUME mit dem Untertitel Wie die Bäume lernen, mit dem Klimawandel umzugehen – und warum der Wald uns retten wird, wenn wir es zulassen. Die persönliche Widmung mag den Verdacht nahelegen, dass der Wolf sich den Boykott der Berufskollegen versagt haben könnte. Doch weit gefehlt: Es war nachweislich ein ehemaliger Kunde aus seiner Villinger Forstamtsleiterzeit (1980-2004), ein Schwarzwälder Sägewerker und Sportsfreund, der sich den Scherz erlaubt und das Buch samt Widmung für mich erstanden hatte. Im Geplauder mit dem gefeierten SPIEGEL Bestseller-Autor hatte er auch auf meine Veröffentlichungen rund um forstlich-naturschützerische Themen verwiesen, die Peter Wohlleben offenbar nicht ganz unbekannt geblieben waren.

Unverhoffte Widmung

Nun also lag sein Buch ein paar Wochen lang als Einschlaflektüre auf meinem Nachttisch. Zu Vergleichszwecken hatte ich dann doch auch noch seinen 2015 erschienenen, sage und schreibe fünf Millionen (!) mal verkauften Bestseller DAS GEHEIME LEBEN DER BÄUME aus dem Bücherschrank hervorgeholt – wie auch den ihm 2016 nachfolgenden Bildband desselben Titels, illustriert mit exquisiten Baum- und Waldfotos, die von einer Vielzahl namhafter Fotografen und Agenturen aus aller Welt beigesteuert worden waren. Es war wohl vor allem die neuartige Herangehensweise an sein Thema, seine stark vermenschlichende, gar zur Esoterik neigende Schreibe, die Peter Wohlleben zum mit Abstand bekanntesten Förster der Republik, zum „Waldflüsterer“ schlechthin, gemacht haben. Der mit dem Wald spricht – Unterwegs mit Peter Wohlleben, so lautete schließlich auch die TV-Serie, die der SWR 2018 in sechs Folgen ausgestrahlt hat: der Autor jeweils auf zweitägiger Exkursion mit Prominenten in verschiedene Waldgebiete Südwestdeutschlands. Vollends verpasst habe ich den 2020 präsentierten Dokumentarfilm Das geheime Leben der Bäume, und auch das am Kiosk erhältliche, im GEO-Verlag erscheinende Magazin Wohllebens Welt habe ich mir erspart, so intensiv ich das Phänomen Wohlleben ansonsten zu verfolgen bemüht war. Habe doch auch ich mich weit über mein Berufsleben hinaus mit forstlicher Öffentlichkeitsarbeit befasst.

Wer weiß, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, so liest es sich schon im Eingangskapitel des „Sachbuchs“, der kann sie nicht mehr so einfach fällen und mit Großmaschinen zwischen ihnen herumwüten. Starker Toback für einen studierten Förster wie für die gesamte Forstpartie! Auch wenn er dann relativierend fortfährt: Ein gesunder, vielleicht sogar ein glücklicher Wald ist wesentlich produktiver und das bedeutet zugleich höhere Einnahmen. Produktivität, Einnahmen – erzielt halt wohl doch vorwiegend durch Holzerntemaßnahmen, möchte man einwerfen. Glückliche Kühe mögen zwar mehr Milch geben, doch wie hat man sich bloß den nicht nur gesunden, sondern auch glücklichen Wirtschaftswald vorzustellen? Als einen, wo Baumbabys gestillt werden und wo beim Buchen-Nachwuchs Gruppenkuscheln erwünscht ist?

Anscheinend will die breite Leserschaft den Wald so präsentiert bekommen, wie sonst wäre das Buch drei Jahre lang (von 2015 bis 2017) auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste gelandet? Bei aller Mäkelei der Kollegen: mehr Werbung für eine ökologisch orientierte und schonende Waldbehandlung geht wohl nicht – als ob die Forstbeamten dem so sensationell erfolgreichen Autor da nicht zu Dank verpflichtet wären anstatt zu Boykott!

Doch inzwischen haben sich die Fronten zwischen Waldwirtschaft und Ökologen weiter verhärtet, und in seinem neuen Werk Der Lange Atem der Bäume zeigt sich der Autor noch um Einiges polarisierender und streitbarer als bisher – auch längst nicht mehr so vermenschlichend und verniedlichend. Und er möchte mit seinem neuen Buch etwas tun gegen den unterm fortschreitenden Klimawandel sich ausbreitenden Fatalismus, auch gegen falschen Aktivismus der „Forstindustrie“ und der Politik. Aus Sorge um das Bauholz der Zukunft werde noch immer dem großflächigen Anbau von Nadelholz, gar von Baumarten mit Migrationshintergrund das Wort geredet: Letztendlich bleibt die Forstwirtschaft so in ihrem traditionellen Plantagensystem mit nur wenigen Baumarten verhaftet.

Fichten-Pleite am Brocken (Harz)

Dabei seien Bäume doch durchaus lern- und anpassungsfähig, sofern sie nicht allzu früh geerntet werden, wie er am Beispiel der Eichen von Ivenack in Mecklenburg-Vorpommern erläutert, die im stolzen Alter von 500 – 1000 Jahren zu den stärksten des Landes zählen. 2020, nach dem dritten Trockensommer, wurde die allerstärkste dieser Stieleichen von einem Forscherteam auf Ihren Gesundheitszustand hin untersucht. Dem Baum gehe es gut, stellten die Wissenschaftler fest, doch zu ihrer Verblüffung fanden sie an ihm auch Blätter und Früchte der Traubeneiche, jener ganz anderen botanischen Art, die trockenere Lagen des Hügellandes besiedelt – jetzt also bereits ein Indiz für die Anpassung an ein verändertes Klima? 

Lernfähige Eichen (Ivenack)?

Um sich erfolgreich auf Veränderungen einzustellen, bräuchten Bäume vor allem Zeit und Ruhe, folgert Wohlleben. Je geschlossener und älter der Laubwald, desto besser funktionieren die Kühlung und die CO2-Speicherung. Derlei Forderungen finden ihren Niederschlag sogar bereits im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 der Ampel, wo es heißt: „Wir stoppen den Einschlag in alten, naturnahen Buchenwäldern im öffentlichen Besitz.“ Jeder Eingriff in den Wald werfe das Ökosystem zurück, die Forstwirtschaft störe da nur. Denn Menschen könnten keine Wälder schaffen, höchstens Plantagen. Was es brauche, sei das richtige Maß an Demut, aber auch an Optimismus im Bezug auf die Selbstheilungskräfte der Natur. So ist das Buch auch ein Plädoyer für mehr Waldwildnis geworden, deren Anteil nach der Nationalen Biodiversitätsstrategie aus dem Jahr 2007 bis 2020 auf 2 Prozent der deutschen Gesamtfläche hätten ausgeweitet werden sollen; geworden sind es indessen nur 0,6 Prozent.

Ins nämliche Horn stößt in seinem Nachwort zum Buch der Eberswalder Biologieprofessor Pierre Ibisch unter der Überschrift Von Nichtwissen und Vorsicht im Wald. Auch er rät zur Demut in der Waldwirtschaft angesichts all der Unsicherheiten, ob die vermeintlichen Superbäume sich überhaupt in die Ökosysteme integrieren können. Womöglich würden die vielen Pflanzungen den natürlichen Wald noch zusätzlich schwächen. Seit beide, Ibisch wie Wohlleben, an der Eberswalder Hochschule mit GEO-Hilfe ein Studiengang Ökologische Waldbewirtschaftung einzurichten sich bemüht haben, tobt der Streit (ein Griff ins Hornissennest) mit den Waldbauprofessoren der übrigen forstlichen Hochschulen. Die klassische Forstwirtschaft, gießt Wohlleben Öl ins lichterloh flackernde Feuer, ist am Ende einer langen, zerstörerischen Reise angekommen, so deutlich, dass es jeder draußen auf den Kahlschlägen sehen kann.

Wen wundert da noch das Fernbleiben der Forstleute bei Wohllebens Villinger Vortrag? Der hatte schließlich auch noch ein lebhaftes Nachspiel in der örtlichen Presse, die unter der Überschrift Bestseller-Autor attackiert VS-Förster einen ganzseitigen Beitrag brachte. Im Vorfeld seines Vortrags hatte Wohlleben einen Bericht des städtischen Forstamts aufgeschnappt, wonach im Stadtwald künftig vermehrt alte Bäume geerntet werden sollen, um so die Waldverjüngung voranzutreiben. Auf seine Facebook-Seite hatte Wohlleben darüber ein Video gestellt, in welchem er sich den stellvertretenden Forstamtsleiter, der sich so geäußert hatte, zur Brust nahm: Wenn alle Förster ihren Wald so behandeln wird mir Angst und Bange. Für mich klingt das wie die dringende Bitte um Kündigung seitens des Arbeitgebers. Womit der Erfolgsautor fraglos offenbarte, dass er mit der naturnahen Villinger Tannenwirtschaft nicht vertraut ist, wo doch der Stadtwald den Ruf als Musterbetrieb genießt und Ziel zahlreicher Fachexkursionen ist. Entsprechend geharnischt fielen dann auch die Leserbriefe aus. Der geprügelte Stadtförster reagierte erstaunlich gelassen auf die Schelte: „Er hat anfänglich für den Wald viel Gutes gemacht. Aber irgendwann ist er aus meiner Sicht zum Märchenerzähler geworden.“

Fachexkursion im Villinger Stadtwald