Man ist so alt wie man sich fühlt

Man ist so alt wie man sich fühlt

23. Februar 2022 0 Von Michael Steinemann

Wann ist der beste Zeitpunkt über das Alter zu sprechen, wenn nicht nach dem eigenen Geburtstag. Nachdem ich vor wenigen Tagen meinen Geburtstag (vorbildlich in kleinem Kreise) feiern durfte, finde ich mich nun mit meinem drei Fraktionssprecherkollegen im Kreise der „Runden Geburtstage“ wieder. Diese Gelegenheit und diese Stelle mache ich mir zu nutzen um an die junge Generation zu appellieren: Interessiert euch (noch) mehr für Kommunalpolitik, meldet euch mehr zu Wort! Im Ehrenamt sind die jungen Gesichter oft vorne anzutreffen und investieren viel Zeit und Mühe. In der Hüfinger Kommunalpolitik würde ich mir das ebenfalls wünschen. Im Wahlkampf vor der Gemeinderatswahl 2019 habe ich immer wieder betont, dass es nicht sein kann und nicht sein darf, dass mehrheitlich die Großeltern-Generation über die Zukunftsthemen unserer Stadt entscheiden. Vorsichtig definiere ich die „junge Generation“ von einer Alterskohorte der 18 bis 40 (bis vielleicht 45 ?)-Jährigen. Anhand der absoluten Wählerzahl eine Minderheit – aber keine die man einfach vergessen darf. Viele Entscheidungen eines Gemeinderats betrifft nämlich genau diese Altersgruppe. Deren Alltagsleben und nicht zuletzt deren Geldbeutel. Ob Kindergarten, Schule, Ehrenamt, Baugebiete, usw. Das sind Themen, die im besonderen Maße die junge Generation anspricht. Egal, ob als Eltern oder als Bauherren, die junge Generation ist oft direkt von kommunalpolitischen Entscheidungen betroffen und dies langfristig. Ihr Hintergrundwissen und ihre Ansichten zu diesen Sachthemen werden dringend gebraucht. Mit den Jahren sind – oder wirken zumindest – die Menschen nämlich gesättigter. Kindergartengebühren, Baulandpreise, Jugendarbeit, u.v.m. laufen aus verständlichen Gründen unterhalb des Radars. Stichwörter wie verlängerte Öffnungszeiten, Förderanträge oder Ganztagesbetreuung kennt gerade die junge Generation eben aus der Praxis und nicht nur in der Theorie.

Leeres Jugendhaus

Selbstverständlich ist es mir bewusst, dass die „Jüngeren“ allzu oft ein knappes Zeitbudget zur Verfügung haben. Schule, Ausbildung, Studium, Aufbau einer Karriere, Familiengründung, Suche eines Zuhauses, ehrenamtliches Engagement. Dieser Zielgruppe ist es dadurch sehr schwer schmackhaft zu machen, die wenige freie Zeit in der Kommunalpolitik zu verbringen. Langfristig ist ihr Einsatz in der Kommunalpolitik ein gesellschaftlicher Zugewinn (Stichwort „Brain Gain“). Sollten sich junge Kandidatinnen und Kandidaten für Gemeinderäte und Ortschaftsräte finden, gilt es diese aber auch zu unterstützen. Diese haben nämlich i. d. R. weder Amtsbonus noch Bekanntheitsgrad über eine große Wählerschaft hinweg. Dadurch wirkt das Wahlsystem wie ein Teufelskreislauf. Plätze werden häufig nur frei durch Nicht-Antritt von Platzhirschen. An dieser Stelle kann man sich gerne auch mal Gedanken machen, auch in der ehrenamtlichen Politik über Amtszeitbegrenzungen nachzudenken. Dies wird ja in der Bundespolitik – zuletzt beim vergangenen Kanzlerwechsel – immer wieder gefordert. Ich selbst spüre für mich keinen Anreiz 30 oder 40 Jahre im Gemeinderat tätig zu sein. Das muss aber aktuell jede(r) selbst für sich entscheiden. Einen gewissen Anteil von Seniorität ist selbstverständlich auch dienlich und das implizite Wissen auch ein nicht zu unterschätzender Wert. Es kommt halt auf die Gesamtkonstellation drauf an.

St. Georg Kindergarten

Aktuell liegt das Durchschnittsalter der 18 Hüfinger Stadträte bei 58 Jahren. In diesem Alter wird das Aufkommen von Visionen überschaubarer. Dies ist absolut kein Vorwurf, sondern rational nachvollziehbar. Während die Gruppe der U45 im Gemeinderat gerade mal drei Vertreter vorweist, ist die Gruppe der Rentner und Pensionäre exakt doppelt so groß. Genau ein Drittel des Hüfinger Gemeinderat gehört somit zu der Ü65-Fraktion. An dieser Stelle will ich ausdrücklich betonen, dass das Alter eines Stadtrates nicht immer entscheidend für das vermeintliche Abstimmungsverhalten ist. Zuletzt bewusst wurde mir das bei der Abstimmung über die Kindergartengebühren in Hüfingen. Während einige junge Stadträte gegen Erleichterungen für Eltern votierten, stimmten wiederum einige ältere Stadträte für Entlastungen. Die scharfe Trennung entlang der Fraktionsgrenzen ist in Hüfingen fest verankert. Sodass vermeintlich wichtige persönliche Hintergründe, die bei Wahlveranstaltungen so gerne von den Kandidaten als Vorteil aufgezeigt werden (Alter, Beruf, usw.) in der realen Kommunalpolitik oft gar nicht positiv wirken können. Wie gesagt: oft, aber nicht immer. Für einen vertieften Blick in das Stimmverhalten von Kommunalpolitikern in Verbindung ihres soziökonomischen Hintergrundes empfiehlt sich die Durchsicht weiterführender Literatur. Die geschilderte Problematik ist selbstverständlich kein reines Hüfinger Thema. In Nachbargemeinden ist dies ähnlich, aber doch nicht in diesem Ausmaß.

Dieser geschildete Wunsch nach Verjüngung kann man mit Sicherheit auch auf funktionierende Verwaltungen übertragen. Auch eine zukunftsorientierte Stadtverwaltung setzt eine gute Altersmischung des Personals voraus.

Von allen Generationen können gute Ideen kommen! Leider ist die Lautstärke zu einseitig. Ich sehe einen altersgemischten Gemeinderat als Fundament für ein gutes Arbeitsverhalten im Gemeinderat mit in die Zukunft gerichteten Entscheidungen.

Bitte nicht falsch verstehen: Der Wähler entscheidet wer im Gemeinderat sitzt. Jedoch gibt es Wege, es der jungen Generation etwas einfacher zu gestalten. Zum einen sind es die gesetzlichen Formalien. Hier wurde das aktive Wahlrecht in Baden-Württemberg mittlerweile auf 16 Jahre gesenkt und die Unechte Teilortswahl wird ab 2024 in Hüfingen wieder praktiziert. Aus beidem verspreche ich mir mittelfristig eine latente Verjüngung im Gemeinderat. Daneben gibt es die Hemmnis, seine Stimme einem eher unbekannten jungen Kandidaten zu geben. Hier braucht es einen gewissen Vertrauensvorschuss. Im Vorfeld (auch auf Wahllisten) sollten junge Kandidaten genügend unterstützt werden. Dies gilt umso mehr bei einer womöglichen Nichtwahl für eine erneute Kandidatur fünf Jahre später. Es muss langfristiger gedacht werden. Nicht zuletzt gilt: „fragen, fragen, fragen“. Wer keine jungen Bürger auf eine Bereitschaft zur Kandidatur anspricht, wird auch keine junge Kandidaten finden und dadurch wird es auch keine junge Stadträte geben.

In diesem Sinne wünsche ich allen eine schöne – wenn auch ruhigere – Fasnet 2022 und ein dreifach kräftiges Narro auf den Schöpfer des Spruchs „Man ist so alt wie man sich fühlt“

Narro!