Kommen Landschafts- und Artenschutz nun vollends unter die Räder?

Kommen Landschafts- und Artenschutz nun vollends unter die Räder?

24. April 2021 1 Von Wolf Hockenjos

Was tun, wenn die gesetzlich anerkannten Naturschutzverbände die Planung der drei Städte Donaueschingen, Hüfingen und Blumberg unterstützen, auf der Länge einen gigantischen Windpark zu installieren mit elf bis 245 m hohen Monstern? Denen die Stadt Geisingen, die ebenfalls ihr Vorranggebiet für Windenergienutzung in dieses Waldgebiet verlegt hat, womöglich noch vier weitere Anlagen hinzufügen will? Richtig: Um den Widerstand gegen die Entwertung und Verunstaltung der Länge zu organisieren, wurde der Verein Arten- und Landschaftsschutz Länge-Ettenberg e. V. (ALLE) gegründet.

Behla und Fürstenberg vor neuer Kulisse ( Foto visualisiert v. U. Bielefeld)

Das von den Freiburger Verwaltungsrichtern und vom Mannheimer Verwaltungsgerichtshof gestoppte Genehmigungsverfahren hat formale Fehler aufgewiesen, weshalb es jetzt also nochmals gänzlich neu aufgerollt werden soll. Demnächst wird im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsprozesses mit einer kompletten Umweltverträglichkeitsprüfung UVP gestartet werden. Ob da mit belastbaren neuen Erkenntnissen zum Artenschutz auf der Länge zu rechnen sein wird? Wie die Umweltverbände NABU, BUND und LNV 2017 in ihrem Faktencheck aufgedeckt haben, sind beim ersten Anlauf peinliche Fehler und Unterlassungen geschehen: Gerade mal 28 % der Vorgaben des Landesamts für Umwelt LUBW für artenschutzrechtliche Prüfungen sind korrekt durchgeführt worden – der schlechteste Wert aller geprüften Genehmigungsverfahren im Land. Und das in einem hochwertigen Waldgebiet mit einem besonderen ökologischen Alleinstellungsmerkmal:

  1. Der gigantische Windpark befindet sich in einem der bestbesetzten Rotmilandichtezentren des Landes mit weiteren windkraftsensiblen Vogelarten wie Baumfalke, Wespenbussard, fünferlei Spechtarten, Hohltaube und Sperlingskauz;
  2. Die Länge ist Lebensraum von bis zu 8 streng geschützten Fledermausarten;
  3. Über der Länge drängt sich im Herbst der kontinentale Vogelzug zusammen (im sog. Geisinger Trichter);
  4. Als größtes unzerschnittenes und unbesiedeltes Waldgebiet der Südwestecke ist die Länge ein wichtiger Trittstein und eine Wildtierkorridor-Schlüsselstelle von internationaler Bedeutung, ausgewiesen durch den Generalwildwegeplan, die „waldbezogene Fachplanung des Landes“.

Dass für den Rotmilan nicht nur die waldfreie Landschaft von lebenswichtiger Bedeutung ist, sondern auch der Längewald als Horst- und Streifgebiet, dass er auch immer wieder kreuz und quer überflogen wird, weiß man spätestens seit dem Jahr 2007, als einige dieser „Wappenvögel der Baar“ mit Sendern ausgestattet wurden, um damit ihre Raumnutzung zu erforschen. Da Milane auch Aasfresser sind, werden sie die Kahlflächen um die Windräder (insgesamt ca. 11 Hektar!) künftig besonders gründlich nach Schlagopfern absuchen – unter akuter Lebensgefahr, dabei selbst geschreddert zu werden.

Über den Rotmilan erhielt das Landratsamt SBK schon im Jahr 2004 eine Expertise der Vogelwarte Radolfzell, nach welcher sich die Ausweisung eines Vorranggebiets für die Windkraftnutzung schon damals eigentlich erübrigt haben müsste; in ihr wird klipp und klar festgestellt: „Von mehreren Verbreitungsschwerpunkten des Landes Baden-Württemberg ist der Schwarzwald-Baar-Kreis der wichtigste überhaupt, weil hier die höchste Brutpaardichte des Landes festgestellt wurde. Der Landkreis ist auch die wichtigste Überwinterungsregion Baden-Württembergs und dadurch eine der wichtigsten in Deutschland.“ Weshalb der damalige Leiter der Vogelwarte, Prof. Berthold, ein ausgewiesener Kenner der Baar, sich auch 2019 gegenüber der Presse erstaunlich freimütig geäußert hat: Die Länge sei ein Hotspot des Rotmilans. „Hier Windräder zu genehmigen und zu bauen, ist aus meiner Sicht absoluter Schwachsinn.“ 

Dass 11 bis (einschließlich der von Geisingen geplanten) 16 Windenergieanlagen mit bis 245 m Höhe während des Herbstvogelzugs das Risiko erhöhen, das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des inzwischen auf Druck der Windkraftbranche aufgeweichten Windenergieerlasses, wonach „Zugkonzentrationskorridore von Vögeln oder Fledermäusen, bei denen Windenergieanlagen zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos oder zu einer erheblichen Scheuchwirkung führen können“ zu den Tabuzonen zählen. Klar ist, dass sich der Vogelzug je nach Vogelart, nach Wetterlage und nach Tag- oder Nachtzeit in  sehr unterschiedlicher Massierung und auch in sehr variabler Flughöhe abspielt. Bei der letzten artenschutzrechtlichen Prüfung war der Länge zwar ein „massiver, breitgestreuter Vogelzug“ bescheinigt worden, dennoch wollte man darin keine Konzentrationszone erkennen. Das Ausschlussargument Vogelzug wurde trotz des Geisinger Trichters ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass in den Donauschlingen der Riedbaar wie auf dem Unterhölzer Weiher unzählige Wasservögel zu rasten pflegen, ehe sie weiter gen Süden durchstarten – und dabei prompt dem Windpark auf der Länge in die Quere geraten werden. 

Verengung des Herbstvogelzugs über der Länge im sog. „Geisinger Trichter“

Hinsichtlich der acht erfassten Fledermausarten und deren Flug- und Zuggewohnheiten soll erst nach Erstellung der Anlagen einzweijähriges Gondelmonitoring erfolgen, um sodann Abschaltregelungen „unter Anwendung der anlagenspezifischen Abschaltalgorithmen“ treffen zu können – eigentlich ein eklatanter Verstoß gegen das Störungs- und Tötungsverbot des Naturschutzgesetzes. Dabei haben wissenschaftliche Untersuchungen längst gezeigt, dass Windparks in Waldgebieten zumal im Frühsommer eine fatale Anziehungskraft speziell auf weibliche Fledermäuse ausüben, die auf der Suche nach neuen Quartieren die Windräder offenbar mit Bäumen verwechseln. Schätzungen gehen von jährlich mehr als 250.000 Fledermäusen aus, die an Windrädern getötet werden. Dabei gilt die Baar und hier speziell der Unterhölzer Wald als Fledermaus-Eldorado, in dem sogar die seltene und streng geschützte Mopsfledermaus nachgewiesen wurde. Dass diese sich im Herbst über die Länge hinweg von ihren Wochenstuben in ihr Winterquartier in den Tunneln der Sauschwänzlebahn zurückzieht, ist naheliegend.

Seit 2013 gibt es das Naturschutzgroßprojekt Baar, (mit 8,6 Mio €) massiv gefördert und finanziert von Bund, Land, Landkreisen und Kommunen mit dem Ziel, „die Wald-, Trocken- und Feuchtlebensräume und den Biotopverbund zu sichern und zu verbessern.“ Die Länge ist von Fördergebieten förmlich umzingelt. Dass der Länge-Wald selbst nach Ausweisung der Windkraftkonzentrationszonen ausgespart bleiben musste, ist mehr als ein Schönheitsfehler! Der Baar, diesem „Drehkreuz von internationaler Bedeutung für den Biotopverbund“ und einer „zentralen Achse des Vogelzugs“, wird von den Verantwortlichen für das Großprojekt eine herausragende Rolle auch beim Fledermausschutz attestiert.

Dem Biotopverbund dienen auch die Wildtierkorridore des seit 2010 existierenden Generalwildwegeplans. Dass ein Windpark der hier geplanten Größenordnung samt Zuwegung die Attraktivität und Durchlässigkeit der Länge beeinträchtigt, liegt auf der Hand. Dennoch wurde dieser Aspekt schon bei der Ausweisung der Konzentrationszone im Flächennutzungsplan glatt ignoriert, obwohl es sich bei der Länge um ein letztes Nadelöhr in Ost-West- und Nor-Süd-Richtung in Süddeutschland handelt. Als ob der Windenergieerlass Baden-Württemberg nicht ausdrücklich vorgeschrieben hätte „Bei der Planung von Windenergieanlagen sind Biotopverbundflächen einschließlich der Flächen des Generalwildwegeplans zu berücksichtigen. Diese Flächen dienen insbesondere der Sicherung der Populationen von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten und der Bewahrung, Wiederherstellung und Entwicklung von funktionsfähigen Wechselbeziehungen (§ 21 Abs. 1 BNatSchG).“

Ein Windpark in der Kohlenstoffsenke Wald?

Wie sehr die elf bis sechzehn Monstren auf der Länge, höher als der Stuttgarter Fernsehturm, das Landschaftsbild auf der Baar und in ihrer Fernwirkung vom Hegau bis zu den Aussichtsbergen des Schwarzwalds überlagern und mit der Suggestivkraft drehender Riesenrotoren dominieren werden, entzieht sich heute noch weithin unserem Vorstellungsvermögen. Die Landschaft, zumal eine noch vergleichsweise naturnahe, unzersiedelte und unzerschnittene Waldlandschaft, scheint in der Sichtweise des Klimaschutzes kein nennenswertes Schutzgut mehr zu sein, auch wenn der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere gem. Artikel 20 a des Grundgesetzes zu schützen hat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“. Leben wir aufgrund des Klimawandels bereits im übergesetzlichen Notstand?

Der Druck von Seiten der Politik wie der Windkraftbranche auf die Genehmigungsverfahren wird fraglos weiter zunehmen angesichts der europaweiten Vorgaben zur CO2-Einsparung und des stockenden Ausbaus der binnenländischen Windkraft. Schon der Scoping-Termin anfangs Dezember 2020, der Auftakt zum neuen Genehmigungsverfahren, lässt ahnen, wie es um Transparenz und Gründlichkeit bestellt sein wird. Ob da die Fehler der Vergangenheit vermieden werden und ob man den Anliegen des Arten- und des Landschaftsschutzes besser gerecht wird als zuvor? Der Verein Arten- und Landschaftsschutz Länge-Ettenberg e. V. wird wachsam beleiben müssen.