Jagdwilderei – plötzlich wieder ein Thema

Jagdwilderei – plötzlich wieder ein Thema

4. Februar 2022 1 Von Wolf Hockenjos

Was einem doch alles durch den Kopf geht angesichts der Berichterstattung über den abscheulichen Doppelmord an einer jungen Polizistin und ihrem nicht viel älteren Kollegen, die frühmorgens zwei Verdächtige kontrollieren wollten. Diese seien mit Ihrem Kastenwagen, wie man liest, am Rand eines wenig befahrenen Sträßchens durch den Landkreis Kusel in der Westpfalz gestanden und hätten so den Verdacht (auf Wilderei?) der auf Streife befindlichen Beamten erregt. Bei der Feststellung der Personalien sei der Polizistin mit einer Schrotflinte in den Kopf geschossen, ihr Kollege mit einem Kugelschuss getötet worden, nachdem sie im Laderaum erlegtes Wild bemerkt hätten. „Kommt schnell, die schießen, die schießen, kommt schnell…“, konnten sie um 4.21 Uhr eben noch funken, während bereits Schüsse gefallen sind.

Wildern – was für ein verstaubtes Genre, mag man spontan denken, wie passt das überhaupt noch in unsere moderne digitalisierte Welt? Wo doch der Wildschütz Jennerwein („er war ein Schütz in seinen besten Jahren, er ward hinweggeputzt von dieser Erd…“) schon längst tot ist, der Archetyp des von der verarmten alpenländischen Bevölkerung heimlich bewunderten und verehrten „Wuilderers“! Und wo doch auch die Notzeiten andere geworden sind.

Doch so gar lange sind Wildererstorys freilich auch wieder nicht her, sie blieben wahrlich auch nicht aufs Hochgebirge beschränkt. Man schlage etwa nach in der Hüfinger Ortschronik aus dem Jahr 1984 (S. 409 f.):

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges stellten sich auch auf der Baar Wilderer in bisher unbekannter Zahl und mit großer Dreistigkeit ein. Den Höhepunkt seines Unwesens erreichte das Wildereiunwesen mit dem Erschießen des sechzigjährigen F.F. Jagdaufsehers Alois Burger aus Hüfingen am Abend des 30. Juni 1921. Dieser Mord erregte die Gemüter der Bewohner der Baar in höchstem Maße.

Auch damals waren die Übeltäter, der Platzwart des F.F. Sägewerks und sein Gehilfe, rasch gefasst (nicht anders als die Kuseler Polizistenmörder, auch wenn die beiden Hüfinger ihre Ausweise nicht am Tatort hinterlassen hatten). Bereits im nämlichen Jahr wurde ihnen unter großer Anteilnahme der Bevölkerung der Prozess gemacht. Der Haupttäter wurde wegen schweren Totschlags, Wilderns und unerlaubten Waffenbesitzes zu 12 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus und zu 10 Jahren Ehrverlust verurteilt, sein Komplize wegen Wilderns und verbotenen Waffenbesitzes zu 1 Jahr und 4 Monaten.

So fragt man sich denn, welche Voraussetzungen eigentlich heutzutage noch immer erfüllt sein müssen, wenn der Tatbestand der Jagdwilderei so verlockend und so ergiebig sein soll, dass Täter noch immer die damit verbundenen Risiken in Kauf zu nehmen bereit sind. Damals, im Fall der Ermordung des Hüfinger Jagdaufsehers, dürften es die horrenden spätfeudalen Rehwildbestände auf den fürstlich fürstenbergischen Jagden gewesen sein – und zweifellos auch die vergleichsweise milde Bestrafung des Wilderns – selbst im Wiederholungsfall.

Wildreichtum, schon immer auch eine Verlockung für Wildere

Im aktuellen Kuseler Fall sollen sich die aus dem Saarland stammenden Täter diesmal freilich in einem Damwildgehege bedient haben. Sage und schreibe 22 (!) Tierkadaver sollen im Laderaum des Täterfahrzeugs entdeckt worden sein. Bei beiden fand man zudem eine Vielzahl von Waffen; ob mit oder ohne Waffenschein und Waffenbesitzkarte müsse erst noch überprüft werden. Beide waren sie nicht vorbestraft, allerdings seien sie in der Vergangenheit bereits den Behörden aufgefallen, der ältere u. a. wegen Jagdwilderei. 

Man stutzt: Wie kann einer jemals wegen Wilderns aufgefallen sein, ohne dafür rechtskräftig verurteilt worden zu sein und ohne dass der Waffenbesitz überprüft worden ist? Immerhin scheint einer der beiden einen schwunghaften Wildhandel betrieben zu haben. Bekannt ist freilich auch, dass die Wilddichte in den rheinland-pfälzischen Wäldern vielerorts verführerisch hoch ist – für Waffenfreunde auch ohne Jagderlaubnisschein gewiss eine permanente Versuchung, zumal wenn beim Wildern nicht nur Schalldämpfer und Scheinwerfer, sondern auch Nachtsichtgeräte zum Einsatz gelangen. Andererseits wird der Wald mittlerweile ja doch auch intensivst überwacht:  Wer immer sich als Weidmann oder Weidfrau auf der Höhe der Zeit wähnt, kommt längst nicht mehr ohne Wildkamera aus. Denn deren Einsatz erspart Zeit, erhöht die jagdliche Effizienz und verspricht vielerlei neue Einblicke ins eigene Revier. Die  waldgrün camouflierte Kamera, gut getarnt angebracht an der Kirrung in Schussweite zur Kanzel, überwacht rund um die Uhr nicht nur das Wild. Sie verzeichnet auch „Beifänge“, ob vier- oder zweibeinige „Eindringlinge“, und erschwert so auch Wilderern ihr schmutziges Handwerk. Allein in Rheinland-Pfalz wird die Zahl der in Wald und Flur im Einsatz befindlichen Wildkameras bereits im Jahr 2014 auf ca. 30.000 geschätzt. Sie dürfte sich längst verdoppelt haben (Dunkelziffer inklusive). Was allemal für den Pfälzer Wald zutrifft, wo derzeit ein wissenschaftlich begleitetes Wiedereinbürgerungsprojekt für Luchse mit einer Vielzahl zusätzlicher Kameras  läuft. Kein Wunder also, wenn Wilderer sich da lieber an Damwildgattern vergreifen.

Ist Jagdwilderei, zumal in wenig wildtiergerechten Gattern, also eher ein milde belächeltes und in der Regel ebenso mild bestraftes Kavaliersdelikt? Und wie halten es die Behörden mit der Einhaltung der Waffengesetze? Wie oft werden die gesetzlich vorgeschriebenen Waffenschränke kontrolliert? Und was muss einer alles verbockt haben, bis ihm der Entzug der Waffen droht? Der tragische Fall von Kusel dürfte auch zum Denkanstoß für Behörden werden.

Fällt die Selbstbedienung im wenig wildtiergerechten Gatter unter Jagdwilderei?