BrautwerbungDie Doppelhochzeit

Brautwerbung
Die Doppelhochzeit

3. März 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Hieronymus Kapitel 20

“O wie chlopft der di Herz, wie lüpft si di flatterig Halstuch, und wie stigt der d’Röthi jez in die lieblige Backe, wie am Himmel s’Morgeroth am duftige Maitag”
>Johann Peter Hebel

Brautwerbung – Die Doppelhochzeit

Mögen Welthändel die Völker entzweien, widerstreitende Interessen die Volksstämme gegeneinander aufstacheln; mag das „Mein und Dein”, das „Gewinnen und Verlieren” selbst Nachbarn zu Feinden machen, stets wird die Liebe eine heilige Zufluchtsstätte in den Herzen der einzelnen finden und dort das Band wieder knüpfen, an welchem allein die Menschheit ihrem Ziele entgegengeleitet werden kann.

Ein Jahr war umflossen, seit der Friede wieder ins Land gekehrt, und doch gehörte für Philipp die so heiß ersehnte Verbindung mit der guten Juliana noch immer in das Reich der Hoffnungen und Wünsche. Endlich aber sollte auch bei diesem Paar sich das Sprichwort bewähren, „wo Treue Wurzel schlägt, macht Gott einen Baum daraus”. Die Bedenklichkeiten und Häkeleien, aus Familienverhältnissen und Rücksichten entsprungen, wurden beseitigt, geglättet und sie glücklich als Brautpaar anerkannt.

Solche Vorgänge sind oft wie herausfordernd, denn kurze Zeit darauf sehen wir ein zweites Paar aus dem Kreise unserer Bekannten dem Segen der Kirche zu ihrer Eheverbindung entgegenharren. Des Laubhausers Peter hatte sich entschlossen, zu heiraten, oder besser gesagt, sein Vater hat sich entschlossen, den Sohn zu verheiraten. Des Hofbauern Beweggrund hiezu lag keineswegs etwa darin, daß er das Regiment gerne an den Sohn abgetreten, um den Rest seiner Tage in ruhiger Zurückgezogenheit zu verleben, nein, der alte Laubhauser hatte jetzt gerade eine passende Braut für den Sohn gefunden, oder vielmehr eine Bauerntochter, auf welche er seit geraumer Zeit her sein Augenmerk in dieser Beziehung gerichtet, war jetzt ins heiratsfähige Alter getreten, und der Bauer hatte es an der Zeit erachtet, mit seinen Plänen hervorzutreten.

Die Angelegenheit war schon früher durch den Langen Hans eingefädelt worden. Durch ihn waren unserm Hofbauern gewisse Winke gegeben und von diesem wohl vermerkt worden. Das Mädchen, um welches es sich handelte, war in der Baar zu Hause und die Tochter des reichen Storchenbauern. Wie aber die beabsichtigte Verbindung zustand gebracht worden, das ging auf folgende Weise zu.

Nachdem der Laubhauser einmal das bestimmte Ziel ins Auge gefaßt und seine Maßregeln getroffen hatte, erschienen eines Tages zwei Männer vor des Storchenbauern Hause. Der eine war der Stabhalter von Laubhausen, der andere der Bregenbacherbauer, Peters Götte. Als die Botschafter sich langsam genähert, klopfte der Stabhalter mit dem Stock am Fenster der Wohnstube, zu sehen, ob jemand im Hause. Der Storchenbauer erscheint am Fenster, und als er bemerkt, weß Landes, ladet er die Männer ein, hereinzukommen.

Die beiden aber machen diplomatisch ernsthafte Gesichter und sind eigentlich nur gekommen, im Vorbeigehen die zwei jungen Fohlen, welche der Bauer, soviel sie wissen, feil habe, in Augenschein zu nehmen. Der Storchenbauer führt sie darum in den Stall – wo man lobt, schätzt, bewundert, aber doch nicht handelseins wird. – Der Storchenbauer, nach einigem Schweigen, ladet die Männer ein, hinauf in die Stube zu kommen – der Stabhalter und sein Freund sehen sich fragend an und schreiten dann bedächtlich hinter dem Bauer her.

In der Stube wird nun von Frucht- und Marktpreisen, von Landwirtschaft überhaupt gesprochen. Die älteste Tochter, ein stattliches Mädchen, bringt Wein und Brot und stellt die Erfrischung mit den Worten: „Sind au Gottwilchen!” auf den Tisch, entfernt sich aber wieder, ohne sich in weiteres Gespräch einzulassen. – Die Männer reden noch immer von Äckern und Wiesen – der Stabhalter führt vergleichungsweise das Hofgut des Laubhausers an, der Storchenbauer macht Bemerkungen über das seinige, während er seinen silberbeschlagenen Ulmerkopf mit Rollenkanaster versieht, Feuer schlägt und starke Dampfwolken vor sich hin treibt.

„Weil wir doch grad davon reden”, sagt er, „so will ich Euch das Inventari holen, da werdet Ihr sehen, Stabhalter, daß wir Baaremer Bure gegen Euch Wälder um e Guts verschieden sind. – Agathle”, ruft er durch den Küchenladen, „gib mir den Kastenschlüssel.” – Während der Bauer in die Kammer schreitet, winkt der Stabhalter dem Bregenbacher, und sie stoßen mit den Gläsern an. –

Der Storchenbauer kommt zurück, breitet das Inventar auf dem Tische aus und zeigt mit der Mundspitze seiner Pfeife, wo die besten Äcker und Wiesen liegen, wobei er beiläufig anführt, was er einer Tochter geben könne. – Jetzt war der rechte Augenblick gekommen. –

„Wie wär’s”, wirft der Stabhalter ein, indem er mit der flachen Hand auf den Tisch schlägt, „wie wär’s, wenn man die Sach zusammenspielen tät?”

Und siehe! Der Zauber ist gelöst – man nennt das Kind bei seinem rechten Namen. „’s ließ sich hören!” meint der Storchenbauer und ruft dem Agathle wieder, die Butelle sei leer, und als das flinke Mädel erschienen, sagt ihm der Stabhalter: er habe beinahe vergessen, daß des Laubhausers Peter sie vielmal grüßen lasse. Während sie errötend, ihm nickend, aus dem dargebrachten Glase trinkt, sagt er: „Der Peter ist e Männle – trinket us und stoßet a!” Soweit war nun alles im Reinen, und man macht noch aus, daß die beiden jungen Leute mit ihren Vätern am Johannimarkt zu Donaueschingen im Gasthaus zum Schützen sich treffen sollten. – Das war die „Abrede”.

Speisekarte von etwa 1880 aus dem Hotel zum Schützen in Donaueschingen.

Die Zusammenkunft mußte ihre Früchte getragen haben, denn nicht lange nachher sieht man eines Tages das Agathle mit seinem Vater auf den „B’schauet” vor dem Laubhauserhofe anfahren – und daß es ihnen allda recht wohlgefallen, können wir daraus annehmen, daß von dieser Zeit an in des Storchenbauern Hause über Kopf und Hals an der Brautfahrt (Aussteuer) geschafft wurde. Die Hochzeitsfeier selbst begleiteten alle hergebrachten Formen und Bräuche.

Einige Tage vorher fuhr vierspännig ein Leiterwagen, von Laubhausen kommend, vor des Storchenbauern Haus; Geschirr und Wagen waren nagelneu und wurden daselbst in die Scheuer eingestellt. Des andern Tages früh, als auch der glückliche Hochzeiter Peter nachgefolgt war, begann die Verladung der Aussteuer. Zuerst kam die große, mit reich verziertem Bretterhimmel verdachte Doppelbettstatt, dann ein großer Kleiderkasten, ein Trog, möglichst bunt bemalt, eine Kunkel mit angelegtem Flachs und flatternden Bändern. Wenn letzteres als Symbol häuslichen Fleißes bezeichnet werden mochte, so deutete der nie fehlende Brautbesen von weißen Reisern mit seinem verzierten Stiel (eine Arbeit der Stillieger) auf die schöne Eigenschaft der Reinlichkeit.

Der nie fehlende Brautbesen mit weißen Reisern und dem verzierten Stiel der eine Arbeit der Stillieger sei, ist für mich ein Rätsel. Die Bezeichung “Stillieger” findet sich nur im Zusammenhang mit der Rheinschifffahrt und auch der Brautbesen scheint verschwunden zu sein.

Das Brautbett wurde vorn auf dem Wagen vollständig aufgemacht, und als dieses geschehen, begann das Einpacken der Kästen und Tröge. Verwandte der Braut, schmucke junge Mädchen, trugen Stück für Stück in die Scheuer, daß auch den Nachbarn genaue Einsicht und richtiges Wertschätzen ermöglicht war. Doch weil hier der Platz mangelt, all diese Kostbarkeiten im einzelnen vor dem Leser auszubreiten, führen wir nur an: die schönen eingebändelten Jüppen und Goller, die farbigen Fürtücher, feintuchenen Ärmel, die seidenen Halstücher, Hemden und Strümpfe, ebenso das Tischzeug, Handzwelen, Getüch, Zwillich, Reisten, Flachs, Zinngeschirr; alles dutzendweise gezählt, ellenweise gemessen, zentnerweis gewogen. Erlassen sei es uns jedoch, die blanken Taler zu zählen, welche der Storchenbauer seinem Töchterlein „auf den ersten Wurf” schon mitgegeben. Kaum hatten die Vormittagsstunden hingereicht, das Geschäft zu beenden. Schlag zwölf Uhr wurde die Aussegnung vorgenommen.

Der Herr Pfarrer war erschienen, die Eltern, die Braut und sämtliches Hausgesinde wohnten der frommen Handlung kniend bei. Nachdem der Geistliche seine Gebete verrichtet und den Segen gesprochen, tritt der Hochzeiter herein, nähert sich seinen zukünftigen Schwiegereltern und dankt mit einem Handschlag für die reiche Hochzeitsgabe. Hierauf bespannt des Laubhausers Karrenknecht mit seinem stolzen Viergespann den Wagen, schwingt sich in den Sattel, und die Fahrt geht vonstatten, während der auf dem Handgaul sitzende Vorreiter, der Roßbub, triumphierend, als hätt er den Brautwagen erobert, mit einem lauten „Juhe!” sein Lederkäpplein schwingt. Von allen Giebeln und Häusern krachen Schüsse als Gruß und Abschied.

Hinter dem Wagen mit der teuren Last aber steigt in stattlichem blauem Rock und rotem Wollehemd der beglückte Bräutigam Peter; in der Linken hält er einen großen, mit Scheidemünze wohlgefüllten, rot bemalten Beutel, aus welchem die Rechte den glückwünschenden Kindern, welche von Zeit zu Zeit „vorspannen”, Gaben spendet; und um ja der Würde eines Sohnes vom Laubhauserhof heute nichts zu vergeben – wirft der Glückliche noch Geld unter die Zuschauer.

Bei so naher Bekanntschaft und Verwandtschaft war der Gedanke natürlich, daß die Hochzeiten Peters und des Kaiserzollers Philipp an einem Tage gefeiert werden sollten, so ward es unter den Eltern verabredet, und zwar sollten Mahl und Tanz im Felsen sein. Welche Zurüstungen zu diesem Festtage! Noch mancherlei Förmlichkeiten sind bis zum Augenblick der Trauung zu beobachten; versetzen wir uns jedoch mit einem Blick auf unsere Zeichnung in den Hochzeitsmorgen selbst.

Juliana, von der Schwester angekleidet und frisiert, glänzt schon im bräutlichen Schmucke der jungfräulichen Schappeltracht. Die Krone voll Goldflitter und farbigen Perlchen ziert das Haupt; die Haare sind eingeflochten in hochrote Stränge von Türkengarn und Hals und Brust züchtig verhüllt in Flor; über der schwarzen Taffetschürze prangt der schön gestickte Schappelgürtel, und die bauschige Jüppe fällt herab in feinen Falten auf die neuen Stöckelschuhe, in welchen die also Geputzte nur in bemessenen Schritten einherzugehen vermag. – Erwartungsvoll umstehen sie die kleinen Kränzlejungfern, die sich längst schon gefreut und vorbereitet haben auf diesen wichtigen Tag.

Von ferne erklingen die Geigen und Klarinetten der Spielleute, welche der Sitte gemäß im Tal umhergehen und vor den Häusern die „Morgensuppe anblasen”, und bald werden die Glocken zur Kirche rufen. Man sagt, eine Braut, welche in der Hochzeitskirche nicht weine, bekomme eine tränenreiche Ehe. Auch der Himmel, ob hell oder trübe, soll eine Vorbedeutung sein, sagen die Weiber, die natürlich stets auf das Angelegentlichste mit den Brautleuten sich beschäftigen – Tränen jedoch sind bald vergossen und ebensobald wieder abgewischt; doch gewiß ist, daß auch im höchsten Ton der Freude leise Trauer, herber Schmerz mitklingt, wie mit dem hohen Glockenton die tiefe Oktave.

Wie es jedoch mit dem Wetter beschaffen war, hell oder trübe, vermögen wir nicht anzugeben. Nur so viel darf versichert werden, der Hochzeiter Philipp hatte sich innig gefreut auf diesen Tag, der ihm seine geliebte Juliana unauflöslich verbinden sollte; und auch der Peter, nicht wenig stolz auf sein Agathle, hielt ihn für seinen höchsten Ehrentag. Beide junge Männer aber konnten diesen Gefühlen und Erwägungen heute nur flüchtig nachhängen; denn mehr noch als der Kaiser am Krönungstag hatten sie nach allen Richtungen hin diplomatische Förmlichkeiten und Rücksichten zu beobachten: zu grüßen, die Hand zu geben und jedem zu sagen, wie sehr es sie freue, daß man ihnen die Ehre schenke usw.

Doch – überlassen wir ihnen die Ausführung des herkömmlichen Zeremoniells und wenden wir uns nach vollzogener Trauung der Hochzeitstafel im „Felsen” zu, wo im Doppelfeste zwei Ehebündnisse gefeiert werden.

Welch eine Menge von Gästen, kaum daß sie das Haus mit seiner großen Stube und Nebenkammer, welche durch Aufhebung der hölzernen Scheidewand zu einem Raume vereinigt sind, alle zu fassen vermag. Die ganze Nachbarschaft rund umher ist eingeladen worden, und niemand, scheint es, hat die Einladung abgelehnt; die Ehrenmägdlein haben alle Hände voll zu tun, jedem ankommenden Gaste auf dem Teller sogleich das Sträußchen zu bieten. – Mit dem Fazenettlein und dem Rosmarinzweig in der Hand sitzen die Bräute an dem Tisch; und da es heute nicht schicklich ist, daß sie von dem Aufgetragenen selbst herausnehmen und auf dem Teller zerlegen, so sehen wir die an ihrer Seite sitzenden Brautführer sie zuvorkommend bedienen. – Auch Florentina, Geschwisterkind und Schwägerin, erblicken wir als bekränzte Ehrenmagd oben an der Tafel; aber sie blickt still und gedankenvoll vor sich hin, obwohl der an ihrer Seite sitzende Handelsmann Dionys, sorgfältig angetan, sich alle Mühe gibt, mit Schöntun sie zu gewinnen.

Ein Fazenettlein ein Taschentuch, bzw. ein Tüchlein.
Rosmarin ist das Symbol für ewige Liebe, Treue und bleibende Erinnerung. Im Mittelalter schrieb man Rosmarin die Kraft zu, böse Geister zu bannen. Volkstümlichen Namen für den Rosmarin sind: Brautkraut, Hochzeitsbleami, Hochzeitsmaie, Kranzenkraut, Weyrauchkraut, Rosemarie, Lieblingskraut oder Gedenkemein.

Aber Hieronymus, warum sehen wir diesen nicht an der Tafelrunde? – Eingeladen ist er und hat der Einladung auch Folge geleistet; aber am Hochzeitstisch selbst, unter den Verwandten und Großwürdenträgern, gebührt ihm, dem Sohne des Dienstmannes, heute kein Ehrenplatz; da muß eben alles g’hörig und formularisch sein, wie der Laubhauser sich auszudrücken beliebte; und Ausnahmen durften keine gemacht werden.

War demnach die Etikette streng vorgeschrieben, ward sie doch keineswegs so ängstlich beobachtet, daß zuletzt nicht die alte Zutraulichkeit wieder sich hätte geltend machen dürfen. Aber Hieronymus hatte heute seinen eigenen launenhaften Tag, und wenn er sich im Herzen auch unrecht geben mußte, so vermied er doch störrisch alles Begegnen, alles Annähern an Florentina.

Der Grillenfänger saß am hintern Tischlein bei seinem Vater, der heute im besten Gewande, seinem einstigen Hochzeitsrocke, prangte. Die Mutter war in der Küche beschäftigt. Romulus hatte sich auch zu ihnen gesellt. „Du siehst”, sagte er in gedämpftem Ton, daß es nur Hieronymus hören konnte, „wie er sich an den Laden legt, ich hab richtig prophezeit.” Damit meinte aber der Student den zutunlichen Dionys, der heute für niemand Augen hatte als nur für Florentina, die er wiederholt schon zum Tanze geführt hatte. Der Angeredete biß sich auf die Lippen und erwiderte nichts. Romulus schenkte die Gläser voll und nötigte den Freund zum Trinken. Ganz abgesehen von ihrer Umgebung taten sich die beiden jetzt Zwang an und sprachen mit scheinbar größter Unbefangenheit von ihren Studien und vom Stadtleben.

Florentina hatte öfter ihre Blicke nach dem hintern Tische gerichtet; und jetzt neigte sich die Braut Juliana, die es bemerkt hatte, zur Gespielin, ihr etwas ins Ohr zu zischeln. Hierauf erhoben sich beide, um Hand in Hand auf den Tisch zuzuschreiten. – Versöhnlich reichte zuerst die Braut ihrem einstigen Anbeter Romulus die Hand; und Florentina, das gute Mädchen, wendete sich an Hieronymus, fragend, was ihm fehle und ob er denn heut gar keine Lust zum Tanzen habe?

„An Tänzern fehlt es ja nit, wie ich seh!” gab er mit erzwungener Gleichmütigkeit zur Antwort mit einem Seitenblick auf Dionys, der ebenfalls sich herbeigemacht.
„Du hast dich diesmal noch gar nie bei uns sehe lassen, machst dich au gar so rar!” fuhr in halb vorwurfsvollem Ton die Freundin fort.
„Bin gestern erst kommen und wollt bei euch im Haus nit überlästig sein, wo alles so vollauf mit der Hochzeit beschäftigt g’wesen ist.”
„Nu, so schenkst du uns morgen doch die Ehr, nit wahr?” fragte sie treuherzig.
„Ich will morgen mit dem frühesten wieder fort”, entgegnete Hieronymus scheinbar kalt und gleichgültig.
„Schon wieder fort?” wiederholte Florentina, indem es wie ein leiser Schatten über ihr Gesicht hinzog
„Dem Hieronymus g’fallt es nit mehr bei uns auf’m Land”, bemerkte Dionys lächelnd; „’s ist wahr, in der Stadt gibt’s mehr Pläsier.”

Ehe Hieronymus hierauf erwidern konnte, war der Bräutigam Philipp herbeigekommen mit dem vollen Glas, um es den Freunden zuzubringen. „Essen und Vergessen!” sagte er fröhlich zu seinem ehemaligen Widersacher – und auch Romulus ergriff sein Glas und stieß mit ihm an.

„Kommt, Romulus, Hieronymus”, ermunterte Philipp die beiden, „kommt, seid doch auch e bißle lustig und alert! – Hört ihr nit den lustigen Tanz? Juheisa juhe! Kommt’s euch nit in die Füß? Frisch – hellauf und glattweg!” Aber auch die Geigen und Flöten, die jetzt vom Tanzboden her tönten, vermochten nicht, das eigensinnige Paar in den allgemeinen Wirbel hineinzuziehen. Sie blieben am Tische sitzen.

Nur einmal, als es hieß, es solle ein Vortanz ausgerufen werden, bemühten sie sich hinaufzugehen, als Zuschauer. – Als die Gruppen sich gehörig gebildet, trat der alte Spielhannes auf und rief, mit der Hand Schweigen gebietend, die üblichen Vortänze aus: „Drei ehrliche Tänz”, verkündet er, „für die beiden ehrsamen Hochzeiter und für den Laubhauserbur, und es soll niemand dreinfahren, außer er hab Staub unterm Hut und e Loch im Strumpf, so groß wie en Speckteller!” – Allgemeines Gelächter. – Der Tanz beginnt, und machten die Brautleute ihre Sache gut, so tanzte der Bauer mit der Kaiserzollerin noch besser – gravitätisch führt er die Tänzerin auf den Platz, und bald auf dem einen, bald auf dem andern Absatz klappernd oder in die Hände klatschend umschwärmt er die züchtige Tänzerin, die, zimperlich mit der Hand ihr Gewand haltend, bald sich nähert, bald sich entfernt, während der Tänzer die Verslein singt:

„Tanz mir nur all siebe siebe,
Tanz mir nur all siebe;
Mach mir’s, daß ich tanzen kann,
Tanzen wie ein Edelmann;
Frei g’schwind!”

Nachdem diese Tänze beendet, begann erst der allgemeine Ländler. Die beiden Freunde aber hatten längst sich wieder in die Trinkstube an ihren Tisch begeben. – Heiterkeit und Lust waren in vollem Zug – und der Stabhalter, nachdem jedes seinen Platz wieder eingenommen, forderte die Mädchen auf, eins zu singen: „Allons, Florentina”, kommandierte er, „stimm an!” – Auf das gebot er Stille – und Florentina – nach einigem Besinnen – stimmte eins an, und die andern, darunter natürlich auch der seelenvergnügte Dionys, fielen ein. – Auch dem Hieronymus und seinem Freunde hatte der Stabhalter zugewinkt – aber sie lehnten ab. – Bald nachher fanden sie für gut, dem geräuschvollen Feste sich unbemerkt zu entziehen.

Gegen Abend, als das Mahl beinahe zu Ende war, zog die Musikbande spielend um die Hochzeitstische, und als der „Brotis-Marsch” beendet, bestieg der alte Spielhannes eine Bank, von welcher herab er mit lauter Stimme den üblichen Zech- und Glückwunschruf herdeklamierte:

„Ich bitte still, ein wenig still,
daß jeder höre, was ich will;
Hochgeehrte, liebe Gäste,
Allen hier beim Hochzeitsfeste,
Bin vom Brautpaar hergesandt:
So viel Dank wie Sand am Meere,
Für die ihm erwies’ne Ehre,
Und was ein Mensch je Guts erdacht,
Sei Freunden auch zum Dank gebracht.
Auch der Wirt bringt heute keine Kreide,
Denn sie beraubt der Gäste Freude,
Man zechet heut, wie’s früher war,
Auf das geliebte Hochzeitspaar.«

Und nachdem die Gäste noch ermahnt worden, zu tun, „was schon die Alten erdacht”, nämlich mit „Gaben” das Herz der Brautpaare zu erfreuen, wendete der Sprecher sich an diese selbst und wünschte ihnen im Namen der Hochzeitsgäste:

„Alles, alles, nur das Beste,
Zuletzt noch viele Kinder,
Gesund und munter auch sogar,
Mit blauen Augen, gelbem Haar,
Dann”, schloß er, „stirbt die Welt gewiß nicht aus,
Und Gottes Segen ist im Haus.”

Bis in die späte Nacht dauerte das festliche Gelage. – Viele vermochten sich nicht zu trennen, bis am grauenden Morgen. Unsere schmollenden Freunde waren aber in der Dämmerung hinausgewandert ins Freie, in die Einsamkeit des nahen Waldes. Sie sprachen über vielerlei und machten ihrem jugendlichen Unmute in philosophischem Gespräche über die Menschen und Verhältnisse Luft.

Als sie spät am Abend umkehrten, strahlte das Wirtshaus festlich erleuchtet durch den Nebelduft; und Getöse und Tanzmusik tönte weit durch die stille Nacht. Die Jünglinge waren unschlüssig, ob sie noch einmal eintreten sollten. Hieronymus hatte Lust, es zog ihn mit heimlicher Gewalt; doch Romulus ließ sich vernehmen, ihn am Arme packend: „Tu es nicht! Laß dem stolzen Bauernadel für heut sein Gaudium!”

Mißgestimmt war Hieronymus nach Haus gekommen, wo er, ohne sich ganz auszukleiden, sich unverweilt aufs Lager warf, doch ohne daß ihm der Schlaf die Augenlider schloß. – Und als er nach langem Wachen endlich eingeschlummert, weckte ihn bald wieder Wagengerassel und das Spiel der Musikanten. Es war üblich im Tal, daß die Spielleute jeden fremden Hochzeitsgast, von dem ein gutes Trinkgeld zu erwarten war, beim Scheiden musizierend bis vor die Haustür begleiteten. – So – zwischen Einschlummern und Aufwachen – ging es fort, bis der Tag graute. – Noch im Morgendämmer wollte der ungeduldige Mensch von dannen ziehen. Die „Nachhochzeit”, redete er sich vor, werde auch ohne ihn abgehalten werden können. – Nicht viel Zeit brauchte er, sich reisefertig zu machen; auch litt er nicht, daß ihm die soeben erst vom Wirtshaus herübergekommene Mutter ein Süpplein koche. Sie begriff seine Eile nicht, obwohl er ihr sagte, er müsse diesmal den längeren Rückweg über Neustadt machen, um dort für den Meister eine kleine Kirchenarbeit abzuholen.

Nebelgewölk verhüllte noch die Berge, als er durch das „Felsental” zog; es wich erst, als er oben auf dem „Höchst* angekommen war. Von der Straße ab ging er rechts, eine schwachbeholzte Bergkuppe ersteigend, wo sich ihm eine freie Aussicht bot, über die Vorhügel hinweg – hinaus ins bläuliche Rheintal. Die kühle Morgenluft hatte bereits all die trüben Nachtschatten von gestern aus seinem Gemüte verweht; er atmete freier, und die Gedanken schweiften hinaus, leicht wie die Wölkchen, die im reinen Äther über seinem Haupte wegzogen. – Und doch fühlte er sich nicht so glücklich wie damals, wo er, als Hirte im Grase liegend, hinaufgeschaut und den Wolkenzug betrachtet und aufspringend dann sich gedrängt gefühlt hatte, mit einem weithin schallenden Jauchzer sein Glück den Bergen und Wäldern zu verkünden!

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